Sturz am Pic Eccles (Mont Blanc)Diese Tour hätte werden sollen: Mont Brouillard - Punta Baretti (dritter Versuch)28.-29. Juli 2004Mittwoch, 28. JuliDiesen Sommer möchten wir ein paar Wochen in den Alpen verbringen, um dort noch den einen oder anderen "Rest-Viertausender" zu besuchen. Die Verhältnisse im Aiguille Verte-Gebiet sind nicht mehr sonderlich gut (die Bergschründe sind alle weit offen), daher fahren wir auf die italienische Seite des Mont Blanc. Dort warten noch drei Viertausender auf unseren Besuch. Punta Baretti und Mont Brouillard hatten wir schon zweimal vergeblich vom Miage-Gletscher aus versucht; von dort ist führt die Route durch sehr loses Gestein, das uns ganz und gar nicht gefallen hatte. So versuchen wir diesmal die Ostseite über den Brouillard-Gletscher zum Col Emile Rey. Vom Val Veny aus steigen wir in drei Stunden zum Rifugio Monzino (2590 m) auf. Für einen Hüttenzustieg hat es der zweite Felsriegel ganz schön in sich. Man arbeitet sich an einer langen Reihe von Ketten in steilem IIer-Gelände hoch. Von der Hütte aus hat man einen guten Einblick in die wilde Südseite des Mont Blanc. Donnerstag, 29. JuliAm Donnerstagmorgen gehen wir um halb vier los. Anderthalb Stunden Stolperei durch Moränengelände, und wir erreichen den Brouillard-Gletscher auf ca. 3000 m. Der Gletscher ist gut verschneit, man kann nur ahnen, welches Spaltenlabyrinth unter dem Schnee versteckt sein dürfte. Tatsächlich führt - von unten nicht einsehbar - eine völlig einfache Rampe auf die nächste Gletscherterrasse hoch. Danach werden die Löcher größer und schwieriger zu umgehen. Ein direkter Zustieg zum obersten Gletscherbecken findet sich nicht, so folgen wir der Spur zum Biwak Eccles nach rechts. Das letzte Stück ist ein etwas unschöner Schutt- und Schneeanstieg. Aber der Schnee ist noch schön fest, um neun sind wir am oberen der zwei kleinen Biwaks auf 3850 m Höhe. Es hat drei Plätze, und die Tür ist so verzogen, dass man den Rucksack zum Einsteigen abnehmen muss. Um neun Uhr dürfte es zu spät sein, um in das ostseitige Couloir zum Col Emile Rey einzusteigen. Mont Brouillard und Punta Baretti sind damit auf morgen vertagt, und wir haben reichlich Zeit, um vielleicht noch ein bisschen unsere Umgebung zu erkunden. Nach kurzer Pause lassen wir meinen Rucksack (Claudia nimmt ihren mit) und die Skistöcke hier und machen uns auf den Weg, um um die Ecke in Richtung Col de Peuterey zu schauen. Sollen wir das Handy mitnehmen? Wiegt nicht viel, kommt in meine Jackentasche. Wir steigen hinter dem Biwak etwas nach links, dann aufwärts zum Felssockel der Punta Eccles. Aus irgendeinem Grund haben wir auch die Helme auf, obwohl uns hier höchstens der Himmel auf den Kopf fallen kann. Wer weiß, wofür das gut sein mag (im Nachhinein betrachtet war das eine wirklich gute Idee...). Über schuttige Bänder arbeiten wir uns um die Ecke, die schwierigeren Stellen sichern wir (II, II-III). Bald ist die Aiguille Blanche de Peuterey in Sicht. Sie sieht abschreckender aus, als wir es uns je erträumt hätten. Bis zu diesem Tag habe ich daran geglaubt, zumindest alle "klassischen" Viertausender der Alpen (also nach Blodig) besuchen zu können. Was wir hier aber sehen, macht dieses Ziel sehr fraglich. Claudia möchte noch um die nächste Ecke schauen, um den Col de Peuterey vollständig zu sehen. Wir gehen gleichzeitig am Seil, sie hat sogar eine Bandschlinge gefunden, in die sie das Seil einhängt (wie sie mir zumindest zuruft, ich kann das um die Kante nicht sehen). Plötzlich zieht mich ein Ruck am Seil zu Boden. Unter vollen Zug schlittere ich über das Felsband, bis ich mich nach einigen Metern irgendwie verkeilen kann. Claudia muss gestürzt sein. Ich kann immer noch nicht um die Kante sehen und weiß immer noch nicht, ob die Sicherung wirklich gelegt ist. Immerhin ist der Sturz erst mal gehalten - sonst wäre es vielleicht tausend Meter runter gegangen. Langsam arbeite ich mich - weiter unter Seilzug, aber nun zum Glück statisch und nicht mehr mit der Sturzbelastung - über das Band weiter und sehe den Karabiner an der Bandschlinge, durch den das Seil läuft. Kurz vor Erreichen dieses Fixpunkts lässt der Zug am Seil nach. Ich sichere mich selbst und versuche die Situation zu klären. Zwei Minuten lang keine Antwort auf mein Rufen. Dann erst Fragen, "bin ich gestürzt?" und relativ diffuse Antworten von unten. Die Situation ist offensichtlich ernst. Ich kann nicht nach unten, denn das Seil reicht nicht zum Abseilen - und die Situation unten erscheint so unklar, dass ich lieber in gutem Stand oben an der Sicherung bleibe. Zum Glück fällt mir bald ein, dass ja ich das Handy habe (normalerweise ist es im Rucksack). Und sogar guter Empfang. 112 - und bald habe ich jemanden am Telefon, dem ich in Englisch die Situation schildern kann. Eine Viertelstunde später kommt der Rettungshubschrauber und findet uns schnell. Ein Retter kommt an der Seilwinde zu mir, überprüft die Sicherungsschlinge; danach wird ein zweiter Retter zu Claudia abgeseilt. Kurz darauf wird er zusammen mit Claudia per Seilwinde in den Hubschrauber geholt und zum Rifugio Monzino geflogen, wo die Erstversorgung stattfindet. Bald darauf kommt der Hubschrauber wieder und holt mich und meinen Retter per Seilwinde ein. Da leider auch alle Dokumente im Rucksack im Biwak geblieben sind, holt mein Bergretter den Rucksack von dort, an der Seilwinde heruntergelassen. Bewundernswerte Präzisionsarbeit, und auch trotz des schönen Sommerwetters sicher nicht ungefährlich.
Claudia wird ins Ospedale Regionale nach Aosta geflogen. Mich lädt man in Entrèves aus und bringt mich nach Aufnahme der Personalien zum Auto im Val Veny. In einer Stunde bin ich auch in Aosta. Freitag, 30. Juli bis Donnerstag, 5. AugustLeider ist es für uns ohne italienische Sprachkenntnisse nicht einfach, eine verständliche Diagnose zu bekommen. Es handelt sich aber wohl um eine Rippen-Serienfraktur, die auch die Lunge beschädigt hat (Pneumothorax) und einen Bruch des Kreuzbeins. Dazu kommen eine Gehirnerschütterung und einige Schürfwunden. Die erste Empfehlung - 30 Tage streng liegen - wird sich hoffentlich nicht bestätigen. Da Claudia zeitweise Probleme hat, die Beine zu bewegen, muss sie einige Tage in Aosta bleiben, bis sie nach Deutschland transportiert werden kann. Den Rücktransport und auch einige klärende Telefongespräche zur Übersetzung von Diagnosen, Verhaltensregeln etc. organisiert die ADAC-Auslandskrankenversicherung. Bis dahin gibt es für mich "Campingurlaub" in Aosta, um dies und das (an das man als Urlauber natürlich niemals denken würde, aber als Krankenhausinsasse braucht) zu besorgen. Immerhin finde ich während des Tages noch Zeit, den sehr markanten Mont Emilius, der direkt über der Stadt thront, zu besteigen. Vom Gipfel nach Aosta blickt man 3000 Meter geradewegs hinunter.
Am Donnerstag kommt Claudia nach Deutschland in ein Krankenhaus, in dem leider bei der Ankunft die Küche schon zu hat und auch sonst nichts Essbares aufzutreiben ist. Nun wäre es ganz interessant gewesen, die italienischen Diagnosen auf Deutsch zu erhalten und die Therapie diskutieren zu können. Diesbezüglich war jedoch am Freitag Funkstille und am Wochenende sowieso eben Wochenende. Nach Rücksprache mit einigen kompetenten Bekannten zieht sie es daher vor, die weitere Behandlung ambulant durchzuführen - denn einfach nur liegen kann man zuhause genau so gut. Die Heilung machte gute Fortschritte: Nach drei Wochen schafft Claudia dreihundert Meter ins Schwimmbad zum Aquajogging zu gehen, und am 3. Oktober konnte Claudia wieder nahezu ohne Probleme einen Halbmarathon laufen; die Zeit war ganz ordentlich (1:57).
Praktische InformationenRifugio MonzinoDas Rifugio Monzino gehört - als einzige alpine Hütte in der Region - keinem Alpenverein, sondern ist Eigentum des Führervereins Courmayeur. Daher gibt es dort keine Ermäßigung für AV-Mitglieder. Der Hüttenwart (interessanterweise ein Franzose) spricht ausgezeichnet Englisch und gibt gerne Auskunft über die Routen und die aktuellen Verhältnisse. Insgesamt ist die Hütte daher sehr empfehlenswert, auch wenn die Übernachtung vergleichsweise teuer ist (18 EUR p.Pers.). Biwak EcclesDas sogenannte "Biwak Eccles" sind zwei Biwakschachteln auf ca. 3850 m am Pic Eccles. Die obere der beiden hat 3 Plätze (nicht vier, die vierte Pritsche ist abgebaut). Das untere Biwak sollte 8 Plätze haben, das haben wir aber nicht selbst überprüft. Vom Rifugio Monzino ist man etwa 5-7 h unterwegs. Die Route ist bis ca. 3750 m bei gut verschneitem Gletscher recht einfach; im oberen Bereich können große Spalten einige Umwege erfordern. Immerhin ist der untere Teil (3000-3500 m) eine recht einfache Gletscherrampe, die man so problemlos nicht unbedingt erwartet. Die letzten hundert Höhenmeter sind schneebedeckter Fels mit ca. 45° Neigung, der je nach Verhältnissen heikel sein könnte. Dank
Die Rettungsflieger von Entrèves verdienen unseren absoluten Respekt. In derart steilem Gelände Rettungen durchzuführen, ist auch bei schönem Wetter nicht ohne Risiko. Die Bergung des Rucksacks vom Biwak erschwerte die Aktion zusätzlich. Auch die Formalitäten waren schnell, effizient und trotzdem flexibel abgewickelt (von Claudias Ausweis, den sie im Auto vergessen hatte, reichte auch die Abschrift, ohne dass ich damit nochmal in Entrèves zum Kopieren hätte kommen müssen). Warum fällt man einfach so vom Berg?Claudia hat keinerlei Erinnerung an den Sturz selbst, und auch das Geschehen bis zum Krankenhaus in Aosta kann sie nur teilweise rekonstruieren. Daher bleibt die Ursache für den Sturz völlig unklar. Das Gelände war zumindest bis zum Fixpunkt relativ einfach, danach verengte sich das Band allerdings. Ein Sturz aufgrund falsch eingeschätzter Schwierigkeiten im Fels erscheint sehr unwahrscheinlich, denn Claudia klettert seit 15 Jahren und kann ihre Möglichkeiten solide einschätzen. In Frage kommen könnte ein Ausrutschen auf bzw. mit einer losen Schnee- oder Eisplatte, oder möglicherweise auch ein Stolpern mit den (neuen) Steigeisen, z.B. durch Verhaken in der Hose oder Ähnliches.Der Zufall von Handy und Helm
Die ersten beiden Punkte sind wirklich interessant, denn sie haben beide die möglichen Folgen des Sturzes sehr abgemildert. Wenn man bedenkt, dass Claudia auch mit Helm
längere Zeit bewusstlos war und eine Gehirnerschütterung davongetragen hat, könnten ohne Helm die Folgen wesentlich gravierender ausgefallen sein.
Dass ich das Handy ausnahmsweise in der Jackentasche bei mir hatte, ist mir erst nach den ersten Minuten eingefallen. Dass wir in Sichtweite von Courmayeur und Entrèves
waren und das Netz entsprechend gut, ist ein weiterer Pluspunkt. Wären wir auf der anderen Seite des Pic Eccles (eines unbedeutenden Vorbuckels des Mont Blanc) gewesen, dann wäre es mit dem
Notruf per Handy komplett Essig gewesen.
© 2004 Hartmut Bielefeldt
Diese Seite entspricht dem HTML 4.0 Standard. |