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Reisebericht von der
Expedition zum Pik Korzhenevskaja und Pik Kommunismus 1993

(Hauser Exkursionen)
11. Juli bis 10. August 1993

Expeditionsleitung: Rollo Steffens
Teilnehmer:
Teilnehmer: Claudia Bäumler, Hartmut Bielefeldt, Claudia Carl, Hans-Jürgen (Jupp) Engelmann, Michael Fuchs, Bertram Merz, Andreas Poppe, Christian Unterkirchner, Ferdinand Unterkirchner
Verfasser dieses Textes: Hartmut Bielefeldt

Kurzzusammenfassung - Berge
Pik Petrovski4829 m
Linker Talwächter4750 m
Pik Vorobjev5691 m
Pik Korzhenevskaja7105 m
Borodkin-Pfeilergipfel6240 m
Pik Kommunismus7495 m

1. Tag: Sonntag, 11. Juli

München - Moskau

Zwölf Uhr am Franz-Josef-Strauß-Flughafen München: Kommunismus- und Lenin-Expedition treffen sich und geben das Gepäck auf. Freundlicherweise hört die Dame bei 380 kg auf zu zählen. Dafür ist die Sicherheitskontrolle einmalig: Wir müssen die Bergschuhe ausziehen und aufs Band zur Durchleuchtung legen, weil die Herrschaften nicht gut genug hineinschauen können. Am Ausgang erwartet uns statt Flugzeug ein Bus, der uns in den hintersten Winkel des Flughafens karrt. Dort steht eine leicht abgetaktelte Tu-154. Es wird schon Gründe geben, wieso die nicht bei den richtigen Flugzeugen steht.

Nach zweieinhalb Stunden Flug und erträglichem Essen, das nur bei einigen Exemplaren die Zersetzungsgrenze überschritten hat, landen wir mit eher eigentümlichem Fahrstil um 19.20 in Moskau. Endlose Warterei auf Pass- und Zollkontrolle schließen sich an. Um neun sind wir am Ausgang, und Anatoli Bychkov ist natürlich auch schon da. Claudia hat das Pech, erstens ihn zu kennen und zweitens im als erstes in die Hände zu fallen, wodurch sie erst mal in die Rolle als Chef einsortiert wird. Als beide Chefs versammelt sind, lässt sich das aber allmählich klären. Diesmal werden drei VW-Busse beladen, die Säcke kommen aufs Dach. Im Konvoi geht's in die Stadt (der letzte schaut, ob die vorderen beiden auch keinen Seesack verloren haben) zum Hotel "Zentrales Haus des Touristen".

2. Tag: Montag, 12. Juli

Moskau

Nachdem auch Karl-Heinz aufgefunden ist und das Frühstück eingenommen hat, beginnt die Stadtrundfahrt, wieder mit demselben Führer wie letztes Jahr. Das Programm ist auch im wesentlichen das Standardprogramm, weshalb wir (Claudia + Hartmut) uns am späten Vormittag aus der Gruppe ausklinken und auf eigene Faust durch die Innenstadt streifen.

Wieder mal die Basiliuskathedrale...
Basiliuskathedrale in Moskau (wieder mal...)

Im GUM gibt es - pünktlich zum 100. Jubiläum - wirklich was zu kaufen, es ist eher eine große Ladenpassage. Dort haben sich hauptsächlich westliche Geschäfte angesiedelt. Das Angebot ist in fast allen Läden reichhaltiger geworden, die Preise haben sich (in Rubel) seit letztem Jahr etwa verzehnfacht. Der Kurs ist jetzt etwa siebenmal geringer: 600 Rubel für eine Mark. Dollars sind aber wesentlich verbreiteter als DM. Mittlerweile ist auch alles für Rubel zu haben, denn es kann sich ja jeder seine Dollars auf der Bank holen, wenn er will. In den "normalen" Läden sind die Preise ähnlich wie an den Ständen an der Straße, z.B. für Westprodukte wie Fanta, Cola undsoweiter; inländische Produkte sind natürlich billiger und sind manchmal sogar trinkbar.

Am Alten Arbat scheint kräftig aufgeräumt worden zu sein: Keine Trödelverkäufer mehr auf der Straße, sondern eine fast etwas zu ordentliche Fußgängerzone. Immerhin gibt es erste Ansätze von Straßencafés. Mittlerweile taucht auch russisches Bier wieder aus der Versenkung auf. Das Mittagessen, das es für uns im Hotel "Moskva" gibt, sieht immer noch sehr "sowjetisch" aus - keine Auswahl, leere Tische, und das Personal scheint sich durch Kunden immer noch fast in seinem geordneten Tagesablauf gestört zu fühlen. Während wir in der Innenstadt damit erfolglos sind, finden wir am Markt an der U-Bahnstation Jugo-Zapadnaja (nahe des Hotels) auch Honig für 1700 Rubel das Glas - bei einem Monatsverdienst von 20000 Rubel in nichtproduktiven Berufen ein stolzer Preis.

Abends Busfahrt mit dem ganzen Gepäck in die Stadt, Essen wieder im "Moskva". Menüvariation gegenüber mittags findet natürlich nicht statt. Am Flughafen Domodedovo die übliche Warterei, und wieder mit dem Bus übers Rollfeld zum Abfertigungsgebäude. Die meisten kommen auch mit der Sicherheitskontrolle zurecht (Profi-Fotografen ausgenommen), sodass wir pünktlich im Flugzeug sind. Das ist diesmal kein solcher Schrotthaufen wie die Schleuder nach Osch, sondern eine funktionierende, einigermaßen saubere Il-86 ohne größere Klimatisierungsprobleme. Sie kann auch tatsächlich fliegen.

3. Tag: Dienstag, 13. Juli

Moskau - Taschkent - Basislager Atschik Tasch

Selbstverständlich droht uns auch hier nach kurzem Schlaf eine Kostprobe der kulinarischen Grausamkeiten der Aeroflot, auch wenn dieser Laden hier inzwischen Usbekistan Airways heißt. In Taschkent kommen die ersten Unklarheiten über den Flugpreis nach Atschik Tasch auf. Zu allem überfluß sind auch noch zwei Flüge notwendig, weil die Flugstrecke länger ist und daher Zusatztanks eingebaut werden mussten. Nachdem die endgültige Klärung der Preisfrage aufs Basislager verschoben ist, beladen wir die Helis.

Beladen des Hubschraubers
Beladen des Hubschraubers in Taschkent

Im Hubschrauber
Leicht überladener Hubschrauber auf dem Weg nach Atschik Tasch.

Der Flug dauert zweieinviertel Stunden. Ob der Rundflug über das Gebiet östlich des Lagers bis zur chinesischen Grenze zusätzliche Einlage war oder mangelnde Orientierung des Piloten, wird uns wohl ewig ein Rätsel bleiben. Besonders nachdem er uns erst an der Zwiebelwiese absetzen wollte.

Um elf Uhr sind wir im Lager (3750 m [1]). Dort empfangen uns neue Zelte. Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, dass nur die Außenzelte durch filzbespannte Holzkonstruktionen ersetzt wurden. Aber besser sieht es allemal aus. Die Hubschrauberfirma hat den Kapitalismus mittlerweile noch besser verinnerlicht: Der Flug von Taschkent nach Atschik Tasch soll jetzt 80 $ kosten, im Gegensatz zu einem Angebot vom Mai über 25 $. Macht der Bedarf wirklich den Preis ?

4. Tag: Mittwoch, 14. Juli

Atschik Tasch

Das Frühstück besteht aus Milchnudeln. Man merkt aber kaum mehr was von den Nudeln. Nur wenige testen das allerdings selbst. Um viertel zehn gelingt es, Rollo zu wecken, nachdem alle vorherigen Versuche erfolglos waren. Wir hatten uns am Ende schon gewundert, wo er steckt. Nach der üblichen Begrüßung und Einführung durch die Lagerleitung wird der restliche Vormittag mit Üben verbracht: Zelte aufstellen und kontrollieren, Kocher, Funkgeräte.

Den Nachmittag verbringt jeder, wie er will. Wir unternehmen einen kleinen Ausflug auf die andere Seite des Flusses bis auf den höchsten grasbewachsenen Hügel, der mit seinen 4015 m allerdings kein richtiger Berg ist: auf der anderen Seite geht es nur fünf Meter runter. Wir sind gerade wieder im Basislager, als es zu regnen beginnt.

Pik des XIX. Parteitags
Pik des XIX. Parteitags der KPdSU
(Der heißt tatsächlich immer noch so)

Kugelprimel beim Pik Lenin-Basislager Atschik Tasch
Kugelprimel beim Pik Lenin-Basislager Atschik Tasch

5. Tag: Donnerstag, 15. Juli

Atschik Tasch - Pik Petrovski - Atschik Tasch

Zum Glück hat es in der Nacht wenigstens wieder zu regnen aufgehört. Zu nachtschlafener Zeit (4.15) stehen wir auf. Nach dem Frühstück dauert es eine Ewigkeit, bis jeder auch seinen Tee hat, und wir kommen erst um halb sechs los. Das heißt, Claudia, Rollo und ich gehen, die anderen rasen. Die Route folgt mehr oder weniger dem Grat und ist überall unschwierig, bis zum Gletscher gibt es meist Wegspuren. Die Pik Lenin-Gruppe holt Claudia, die von der ersten Serie der üblichen Verdauungsprobleme geplagt wird, fast ein, muss dann aber im Steilgelände die Steigeisen anlegen, weil sie es vorher nicht für nötig befunden hatten; wir sehen sie erst am Gipfel wieder. Nach gut 3 1/2 Stunden ist der Vorgipfel des Pik Petrovski erreicht, 4800 m hoch. Die Aussicht ist gerade dabei, sich auf Null zu reduzieren. Schade, ist doch gerade dieser Berg für eine großartige Sicht auf den Pik Lenin bekannt.

Als ich von meiner halbstündigen Exkursion auf den Hauptgipfel (4829 m) zurückkomme, sind die anderen schon vor dem drohenden Gewitter geflohen. Eine Stunde und zehn Minuten dauert der Abstieg ins Basislager, wobei uns noch ein sehr träges (oder einfach desinteressiertes ?) Murmeltier begegnet, das es gar nicht nötig hat, vor uns zu flüchten.

6. Tag: Freitag, 16. Juli

Atschik Tasch - Linker Talwächter - Atschik Tasch

Wieder so scheußlich früh aufstehen. Da das Wetter noch nicht so recht weiß, was es will, lassen wir die anderen auf ihren Pik Mira, der gar keiner ist, losziehen. Später ist es dann tatsächlich einigermaßen sonnig, wir gehen um halb neun los.

Der Berg ist übrigens der linke Talwächter (4750 m). Die herumfliegenden Wolkenfetzen lassen uns das Ziel auf den roten Berg (4200 m) ändern, es hält sich aber, und so peilen wir die Nordwand des Talwächters an. Die ist aber so steil und blank, dass es mit nur einem Eispickel und ungesi-chert wohl nicht allzu gesund sein dürfte. Ausweichen auf den Grat rechts daneben, zuerst grauenhafter Schutt wie überall hier, dann eine Schneerinne und durch den flacheren oberen Teil der Nordwand. Am Ausstieg das Aha-Erlebnis: Das ist natürlich nicht der Gipfel. Auch hinter dem Punkt, den wir eine Dreiviertelstunde später erreichen, geht es - nach einem kleinen Abstieg, was sonst - noch etwas höher hinauf. Kurz vor zwei ist dann der richtige Gipfel erreicht. Er darf eine Lücke füllen, denn in den Alpen gibt es keine 4700er.

Abstieg durch Schnee- und Geröllfelder und kniehohe Zwiebelwiesen. Kurz vor fünf sind wir zurück im Basislager, da begegnet uns die Dolmetscherin: Wir seien ja gar nicht zum Mittagessen dagewesen, ob wir nicht noch was essen wollten. Als wir daraufhin zusagten, konnten wir ja nicht wissen, dass sie uns zwei komplette, wenn auch nicht mehr ganz warme Mittagessenportionen vorsetzt, und das zwei Stunden vor dem Abendessen.

Bis zum Abendessen packen wir die Seesäcke, denn für morgen ist der Heli ins Lager Moskvin angesagt. Wie erwartet, kommt abends die Mitteilung, dass selbiger morgen wegen Schlechtwetter nicht fliegt. Oder vielleicht doch, das erfährt man dann morgen. Oder auch nicht.

7. Tag: Samstag, 17. Juli

Basislager Atschik Tasch - Basislager Moskvin

Gestern abend war der Höhenmesser um 40 Meter gefallen, und tatsächlich ist das Wetter wieder gut. Das scheint aber der Hubschrauber nicht zu wissen: Ob er kommt, sollen wir um neun erfahren. Um neun vertröstet man uns auf zwölf, und auch dann gibt es nichts Neues. Die ganze Zeit verbringen wir wartend im Lager auf fertig gepackten Seesäcken, denn wenn der Heli wirklich mal kommt, bricht wieder grenzenlose Hektik aus.

Bau einer Jurte.
Nahe Atschik Tasch wird eine Jurte aufgestellt.

Wenigstens können wir beim Warten den Bemühungen des "Generals" [2] zusehen, die anderen dazu zu bringen, die Jurte anständig aufzubauen.

Um fünf Uhr dann ein Wunder: der Heli kommt tatsächlich. Zuerst wird das Gepäck der Lenin-Gruppe nach Lager 1 geflogen. Chaos, Einladen, die meisten finden mit etwas Glück einen halben Sitzplatz oder sortierern sich irgendwie in den Gepäckhaufen. Nach einem interessanten Flug über die Hügelketten und über einen Pass nach Südwesten durch eine wilde Schluchtenlandschaft erreichen wir eine Dreiviertelstunde später das Moskvin-Lager. Dort haben wir eine Stunde gewonnen, Tadschikistan hat eine andere Zonenzeit.

Lager Moskvin, im Hintergrund der Pik Kommunismus
Lager Moskvin, im Hintergrund der Pik Kommunismus

Der Hubschrauber verläßt das Lager Moskvin wieder.
Der Hubschrauber verläßt das Lager Moskvin wieder.

Die Gegend um uns herum ist atemberaubend, weniger der 4450 m Höhe wegen: Die Zelte stehen auf einer Moräne am Zusammenfluß von Moskvin- und Waltergletscher; im Norden der wilde Eisbruch des Moskvingletschers gerade hundert Meter weit weg und darüber himmelhohe Felswände des Pik Korzhenevskaja. Im Süden, über dem Zusammenfluß des Waltergletschers mit einem anderen Gletscher, erhebt sich 1800 m hoch der Borodkin-Pfeiler (Erstbegehung 1968), und weit hinten sieht man - drei Kilometer höher - den Pik Kommunismus. Und da wollen wir rauf, möglichst auch noch auf alle beide!

Das Abendessen ist, ganz unerwartet, besser als in Atschik Tasch.

8. Tag: Sonntag, 18. Juli

Lager Moskvin - Hochlager am Pik Vorobjeva

Die üblichen Problemchen mit der Beschaffung von Essen zum Mitnehmen und Brennstoff verzögern den Aufbruch zur Akklimatisationstour auf den "Spatz" - Pik Vorobjeva[3] - bis mittags. Mit durchschnittlich 13 - 18 kg bepackt geht es an der rechten Seitenmoräne des Waltergletschers entlang. Wie es sich für eine Moräne gehört, natürlich dauernd auf und ab. Später geht es dann in endloser Gerölltreterei den Südhang des Vorobjev hoch, bis wir nach gut fünf Stunden den Lagerplatz auf 5120 m erreichen.

Wir ebnen Geröll ein, bauen das Zelt auf und kochen in eisiger Kälte Fertigmahlzeiten und Tee. Aber die Aussicht auf die 1500 m hohe Wand, die das Pamir-Plateau trägt, ist großartig. Rollo kann's nicht lassen und geht am Abend noch auf den Gipfel.

9. Tag: Montag, 19. Juli

Hochlager - Pik Vorobjeva - Lager Moskvin

Kurz nach fünf weckt unser russischer Trainer Volodja die ganze Mannschaft: "Genug geschlafen, Tee kochen." Es ist ziemlich frisch, -12°C. Dafür aber wolkenlos. Nach mehr oder weniger zwei Stunden sind alle am Gipfel. 5620 m zeigt der Höhenmesser, 5691 sollten es laut "Karte" sein[4].

Eine phantastische Aussicht auf Pik Kommunismus (7495) und Pik Korzhenevskaja (7105) ist geboten; nicht zu vergessen die vielen Sechstausender drumherum, die fast alle viel seltener bestiegen werden als die "Großen" - manche viele Jahre lang überhaupt nicht: Pik der Vier (6380), Pik Izvestija (6841), Pik Klara Zetkin (6680), Pik Achmadi Donisch (6665). Leider steht der Pik Korzhenevskaja etwas zu nahe, sodass man ihn nicht ganz auf ein Foto bekommt.

Pik Vorobijev
Auf dem Gipfel des Pik Vorobijev, Blick zu Pik der Vier, Pik Moskva und Pik Klara Zetkin.

Pik Korzhenevskaja, vom Vorobijev aus gesehen
Pik Korzhenevskaja, vom Vorobijev aus gesehen

Es ist zwar sonnig, aber oben kalt und etwas windig. So verkrümeln wir uns wieder zum Lager, das wir ja auch noch abbauen müssen. Um halb eins sind die meisten wieder im Lager Moskvin, größtenteils etwas fertig von der Moränenstrecke kurz vorm Lager. Abends feiern die zwölf Franzosen, die gerade von Pik Korzhenevskaja zurückgekommen sind, ihre Besteigung: die erste der Saison.

10. Tag: Dienstag, 20. Juli

Lager Moskvin - Lager 1 (Korsch) - Lager Moskvin

Nach den diversen Eingehtouren packen wir heute das erste richtige Ziel an, den Pik Korzhenevskaja[5] über den heute leichtesten Weg, die Zeitlinroute von 1966, die über die Südwestflanke und den Südgrat führt. Die Mannschaft scheint sich mittlerweile in eine schnellere (Christian, Ferdinand, Claudia C, Michael) und eine langsamere Truppe (Andreas, Jupp, Bertram, Claudia, Hartmut) aufgeteilt zu haben. Die schnelle geht heute mit dem ganzen Gerümpel (Zelt, Schlafsack, Kocher, Brennstoff, Essen, warme Klamotten, mehr Essen, wärmere Klamotten...) auf Lager 1, die langsamere morgen.

Wir gehören zwar zur langsameren, wollen aber die Schlepperei auf deutlich unter 20 kg pro Aufstieg drücken; daher bringen wir heute und morgen je die Hälfte hoch. Zum Glück zeigt sich, dass die Wegbeschreibung mit den 300 Metern Gegensteigung veraltet ist. Es gibt einen neuen Weg, der direkt hinter dem Lager über den Moskvingletscher führt. Die Gletscherquerung selbst ist übrigens mit "Pedigree PAL - von Züchtern empfohlen"-Fähnchen markiert.

Danach geht's etwas bergauf in einen Sattel und nach kurzem Gegenabstieg eine Rinne zu einem markanten Sattel im Grat auf 4700 m hinauf. Daran schließt sich eine Querung eines Fels- und Geröllhanges mit teilweise etwas heiklen Stellen an. Das Beste ist allerdings die Wegquerung kurz unterhalb der Zunge des Zeitlin-Gletschers. Diese Zunge ist nämlich ein 50 m hoher senkrechter Abbruch, auf dem Kiesel beliebiger Größe bis zu gut fünf Metern in ziemlich beunruhigendem (wenn überhaupt) Gleichgewicht lagern. Da braucht man gutes Vertrauen an die Adhäsions- und Kohäsionskräfte.

Nach dieser möglichst schnell über die Bühne gebrachten Passage geht es noch lange links zwischen Gletscher und Moränenschutt aufwärts, bis das Ganze flacher wird und den Blick auf die gewaltige Westwand, die den Südgrat trägt, und die darunter befindliche berüchtigte Querung freigibt - Lager 1 auf 5160 m ist erreicht.

Während die anderen hierbleiben, räumen wir die Rucksäcke fast ratzeputz aus, deponieren alles in Rollos Zelt und treten bald den Hinunterweg wieder an. Der ist auch staubig genug. Zum Abendessen erscheinen die Italiener wieder, die mit uns von Atschik Tasch gekommen waren. Die haben inzwischen den Pik Korzhenevskaja bestiegen. Allerdings waren sie auch schon vom Pik Lenin her akklimatisiert.

11. Tag: Mittwoch, 21. Juli

Lager Moskvin

Gestern abend war es ungewöhnlich mild, und es sind einige sehr tiefe Wolken im Tal des Waltergletschers herumgeschippert. Heute morgen wissen wir, was das zu bedeuten hat: es regnet und schneit. Viele der Zelte sind undicht, in Claudia C's Zelt fließt ein mittlerer Bach von der Decke. Zu allem überfluß kommt auch noch der tadschikische Heli und legt wieder einige Zelte platt. Daher dürfen wir uns den Vormittag mit Wiederaufbauarbeiten beschäftigen.

unsere Zelte nach Schlechtwetter
unsere Zelte nach Schlechtwetter und einem Hubschrauber-"Angriff": Dem Piloten macht es wohl besonders Spaß, beim Verlassen des Landeplatzes ein paar Meter über den Zelten hinwegzufegen.

Gegen zwölf kommen die Lager 1-Insassen herunter. Sie waren gestern noch auf Volodjas Vorschlag auf 5600 m aufgestiegen und haben dort abends um sieben ihr Lager aufgebaut. Das Schlechtwetter wäre eigentlich erst für den 23. angesagt gewesen. Der neue "Wetterbericht" - sofern man überhaupt Aussagen bekommt, die über "morgen gut" hinausgehen - droht fünf Tage Schlechtwetter an. Trotzdem läßt Andreas nicht vom für heute geplanten Aufstieg in Lager 1 ab. Damit er nicht allein geht, muss Rollo wohl oder übel mit.

Abends um sechs zieht es sich richtig zu - zwanzig Meter Sicht, andauernder Schneefall, noch knapp über Null Grad.

12. Tag: Donnerstag, 22. Juli

Lager Moskvin - Lager 1 (Korsch) - Lager 1 1/2 (Korsch)

Morgens sind fast alle Wolken wieder weg; alles ist wie überzuckert. Nach und nach brechen alle außer Volodja auf. Wir (Claudia + Hartmut) bringen die zweite Hälfte Gerümpel nach Lager 1, packen dort die schon oben befindliche erste Hälfte noch drauf und gehen zum Lager auf 5700 m. Kurz vorm Ziel kommt uns mittags um vier ziemlich ungehalten Michael entgegen, der von Lager 1 ein Zelt holen muss, weil Volodjas zusammengekracht ist und bei dem anderen mitgenommenen anscheinend die Stangen nicht passen (sie passen übrigens, waren nur falsch zusammengesetzt).

Als wir ankommen, macht Volodjas Zelt wirklich einen sehr heruntergekommenen Eindruck - das Glasfibergestänge ist durch Kälte und Schneebelastung gebrochen. Die Zelte von Christian und Rollo stehen ordentlich, und wir bauen unseres daneben. Rollo und Andreas werden die bei ihnen deponierten Sachen wieder los und haben endlich wieder genug Platz, um das Abendessen zu brutzeln - es war doch letzte Nacht schon so ungemütlich.

Nach insgesamt drei Stunden seit der Ankunft sind wir einigermaßen fertig mit Zelt aufbauen, Essen und Tee kochen und über den lausigen Schneefall und die zehn Meter Sicht zu philosophieren.

13. Tag: Freitag, 23. Juli

Lager 1 1/2 (Korsch) - Lager Moskvin

Wir geben uns ganz der Akklimatisation hin. Genauer: es hat in der Nacht 30 cm geschneit, an ein Weitergehen durch die lawinengefährliche Querung ist also nicht zu denken. Und runtergehen wollen wir natürlich auch nicht. So kochen, essen und schlafen wir, bis die Kopfschmerzen, das Gejapse nach Luft und der hohe Puls verschwunden sind. Wie schon letztes Jahr am Pik Lenin setzt bei Claudia und mir der Fünftausend-Meter-Hunger wieder ein: Sobald wir oberhalb dieser Höhe übernachten, haben wir fast immer Hunger - und das, wo wir doch sonst im Gebirge kaum was essen. Macht nix, diesmal wissen wir's ja. Zum Frühstück gibt's Müsli, und dann mal weiter sehen.

Trotz einiger sonniger Augenblicke setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein Ausharren hier oben eher unbequem ist. Wir können ja am ersten Schönwettertag - der soll angeblich übermorgen sein - wieder hochkommen. übers Lager hinaus können wir sowieso erst am Tag darauf gehen, wenn der Neuschnee sich gesetzt hat. Inzwischen nehmen wir besser den Komfort des Basislagers in Anspruch. Auf Lager 1 treffen wir Bertram und Jupp, die gestern nur bis hier gegangen waren. Bertram kommt mit nach unten, während unser Gondoliere (des charakteristischen Strohhutes wegen so benannt) es vorzieht, alleine die Stellung zu halten. So gehen / rutschen / schlittern wir den verschneiten Weg hinunter. Freundlicherweise sind die problematischen Stellen nicht verschneit, sondern nur fürchterlich schlammig. Aber auch diese Schlacht ist nach zwei Stunden geschlagen.

Gleich bei der Ankunft gibt es Kompott[6]. Nach dem Abendessen wird erkundet, was das Proviantlager noch so zu bieten hat. Ergebnis: türkisches Bier, die Dose zu $ 3 - das muss ja nicht sein - und Wodka aus Duschanbe, halber Liter zu $ 5 - schmeckt ein bisschen nach Benzin. Der Wunsch nach Cola, Fanta, Frischkäse, Weizenbier oder ähnlichem muss wohl noch ein wenig zurückgestellt werden. äußerst ärgerlich: Claudia C wurde während der Abwesenheit Geld aus dem Zelt gestohlen. Sie hatte allerdings auch das Gepäck nicht verschlossen. Interessanterweise hat der Dieb die Geldbörse durchsucht und nur die großen Scheine genommen.

14. Tag: Samstag, 24. Juli

Lager Moskvin

Zum Frühstück schon wieder Grießbrei. Spezielle Freunde der Lager-Belegschaft und solche, die es eigentlich gar nicht unbedingt werden wollen, werden freundlich zur Assistenz bei den heutigen Mittagessensvorbereitungen eingeladen. Die bestehen daraus, sowas wie tadschikische Tortellini zu falten. Nach Anleitung klappt das mehr oder weniger gut. Und beschäftigt sind wir auch bei dem Mistwetter.

Wieder mal legen wir uns unsere Besteigungspläne zurecht: Morgen wollen wir ins Lager auf 5700 m aufsteigen und von dort in zwei Tagen über Lager 3 auf den Gipfel. Mal sehen, was das Wetter dazu sagt. Bis jetzt kommt allerdings nur krümelweise weißes Zeug aus den Wolken, auch wenn der Höhenmesser nur noch 75 m zuviel anzeigt statt 90 m wie vorher.

15. Tag: Sonntag, 25. Juli

Lager Moskvin

Immer noch "Urlaub": Nur von Zeit zu Zeit guckt die Sonne durch den Nebel. Das ist schon der fünfte Schlechtwettertag hintereinander; langsam wird die Zeit knapp, wenn man noch an die relativ unwahrscheinliche Möglichkeit am Kommunismus glauben mag. Aber wenigstens ein Siebentausender sollte schon drin sein. Nachmittags schneit es wieder ein bißchen, es ist ziemlich kalt. Bald kommt der Meteorologe in die Suppe, wenn das so weitergeht.

Küchendienst
Bei Schlechtwetter gibt's auch in der Küche genug zu tun - wir falten tadschikische Ravioli.

16. Tag: Montag, 26. Juli

Lager Moskvin

Es waren doch nur gefüllte Paprika in der Suppe (Meteorologe war schließlich auch keiner zu finden). Nachts hat es zehn Zentimeter geschneit, das erste Mal eine solche Menge. Vormittags ist es dagegen eher sonnig, die weiße Pracht ist bald verschwunden. Heute nachmittag wollen wir einen kleinen Ausflug in Richtung Pik der Vier unternehmen; morgen solle es möglich sein, endlich wieder am Pik Korzhenevskaja zu was zu kommen. Die Gestalten im Basislager sind zwar alle sehr nett (wirklich!), manche auf Dauer aber ein wenig lästig. Außerdem sind wir ja zum Bergsteigen hier.

Der nachmittägliche Ausflug entfällt wegen des üblichen nachmittäglichen Schneefalls.

17. Tag: Dienstag, 27. Juli

Lager Moskvin - Lager 1 1/2 (Korsch)

Es lohnt sich doch, wenn man immer brav aufißt: Gestern abend während des Abendessens sind plötzlich alle Wolken verschwunden, und es gab einen wunderbaren Sonnenuntergang.

Abendstimmung in Basislager
Eine der schönsten Abendstimmungen, die man in der Welt wohl erleben kann:
Der Pik Kommunismus thront gute 3000 Meter über uns; in der rechten Bildhälfte der Borodkinpfeiler.

Heute morgen ist natürlich Abmarsch, und zwar um acht. Die Mittagshitze auf dem Gletscher macht das Vorankommen sehr mühsam, sodass wir (Claudia + Hartmut) fast acht Stunden bis zum Lager auf 5700 m brauchen. Aber die anderen sind auch von ihrem ursprünglichen Plan abgekommen, heute noch bis 6100 m zu gehen.

Selbstverständlich ist es nichts mit Abendsonne: hier am Pik Korzhenevskaja kommen die Wolken als erstes in der ganzen Gegend. Wir sind allerdings mit Zelt ausgraben (damit wir es morgen früh nicht in der Kälte tun müssen) und Kochen auch so gut genug beschäftigt. Zum Abendessen gibt es Boef Stroganoff aus der Tüte, Rührei aus der Tüte und Gummibärchen (natürlich aus der Tüte).

Rollo ist im Basislager geblieben, um Verdauungsprobleme zu kurieren. Bertram ist die Motivation ausgegangen, wieder den ganzen Weg hochzugehen, er bleibt auch unten.

18. Tag: Mittwoch, 28. Juli

Lager 1 1/2 (Korsch) - Lager 3 (Korsch)

Aufstehen zu einigermaßen humaner Zeit: um sieben. Nachdem Schlafsack, Zelt etc. verpackt sind, brechen wir um halb neun in Richtung Lager 3 auf. Das eigentliche Lager 2 können wir ja auslassen, weil wir schon Lager 1 übersprungen hatten und zwischen den Höhen dieser beiden Lager übernachtet haben.

Der ganze Steilhang liegt im Schatten, und es ist saukalt, wenn es tatsächlich auch nur ungefähr -15° bis -20° sein dürften. Den Füßen behagt das allemal nicht. Nach einer Stunde sind wir am Vogelnestlager auf 5850 m: ein Felsüberhang, unter dem im flachen Schnee bzw. Eis einige Zelte Platz haben. Ab hier gibt es Fixseile durch die ganze Querung nach rechts auf den Sattel (6200 m). Keine technischen Schwierigkeiten, aber es ist ungeheuer mühsam, denn inzwischen liegt der Hang in der Sonne. Am Sattel ist übrigens entgegen der Routenbeschreibung kein Platz für Zelte.

Oberhalb folgt die Schlüsselstelle mit fünfzig Metern kombinierten Geländes, Fels II-III, der freundlicherweise auch noch mit Fixseilen versehen ist. Es wäre ganz schön heikel, das Stück frei zu klettern mit dem ganzen Hausrat auf dem Buckel. Beidseits geht es mindestens einen Kilometer tief in die Leere. Inzwischen hat es endlich mal wieder zu schneien begonnen. Wenn's wahr ist, wäre das eine enttäuschend kurze Schönwetterperiode gewesen.

Lager 3 auf 6400 m erreichen wir nach sieben Stunden; die anderen sind schon mehr oder weniger lange da. Recht fertig vom langen Gepäcktragen, dauert es anderthalb Stunden, bis wir was warmes zum Essen haben. Daran ist aber auch der meuternde Kocher schuld.

Pik Kommunismus, vom Lager 2 am Pik Korzhenevskaja gesehen
Pik Kommunismus, vom Lager 2 am Pik Korzhenevskaja gesehen

19. Tag: Donnerstag, 29. Juli

Lager 3 - Pik Korzhenevskaja - Lager 3

Es hat ein bißchen gedauert, bis die Logistik über Funk abgeklärt ist. Rollo war gestern doch noch bis zum Lager 5700 aufgestiegen, wird heute nach Lager 3 weitergehen und möchte dort möglichst auch noch ein Zelt vorfinden. Das Wetter macht wieder, was es will. Die einen sagen, heute käme aus Westen wieder Schlechtwetter nach; die anderen beschränken sich auf "heute gut". Das letztere scheint sich zu bewahrheiten: morgens um fünf löst sich ein Großteil der Wolken auf, der Rest vagabundiert auf etwa 5000 m herum.

Also nichts wie los! Das ist einfacher gesagt als getan bei den herrschenden Außentemperaturen. Lediglich Andreas hält nichts mehr, er geht schon um viertel vor sechs, zum Vorspuren. Der Rest - also Christian, Ferdinand, Claudia C, Michael, Claudia, Hartmut, Jupp - bricht gegen sieben auf.

Nach einem Schneerücken folgt die Route dem verfirnten Südgrat. Er ähnelt durchaus dem Biancograt oder dem Alphubel-SE-Grat, macht technisch aber weniger Probleme als letztere. Aber er liegt natürlich ein wenig höher, daher finden wir ziemlich viel Pulverschnee vor. Zwar sind einige unserer Kollegen schneller und entscheiden die Spurarbeit für sich, aber der Wind ist teils recht heftig und weht viel davon wieder zu.

überhaupt weiß man heute gar nicht so recht, was man anziehen soll: In der Sonne ist es wunderbar warm; schiebt sich eine der immer zahlreicheren Wolken davor und frischt der Wind wieder auf, dann her mit Sturmhaube, Daunenjacke, dicken Handschuhen und was sonst so greifbar ist. überflüssig zu sagen, dass der Wind genau dann wieder aufhört, wenn man das alles angezogen hat. Abgesehen davon ist es aber wesentlich wärmer als auf gleicher Höhe am Pik Lenin. Die Südseite macht schon einiges aus.

Der Grat ist meist nicht besonders schmal und führt in mehreren Steilaufschwüngen empor. Auf 6850 m verliert er sich in der Gipfelwand. Nach vier mühsamen Stunden sind wir dort. Wieder eine Gegensteigung, und man müht sich die Gletscherflanke etwas rechts hoch. 250 Meter auf dieser Höhe sind dermaßen mühsam, dass man sich wundert, wieso da überhaupt jemand raufgeht. Nach zwanzig Schritten Pause, Luftholen bis wieder welche da ist, und wieder zwanzig Schritte. Und die Pausen werden immer länger und die Schrittzahl immer geringer.

Ganz abgesehen davon hatten bezüglich des Wetters die anderen doch recht. Es zieht sich zu. Auf 7050 m begegnen uns schon im Abstieg Michael und Andreas, den die Höhenkrankheit ganz plötzlich erwischt hat. Gleich danach kommen auch Christian, Ferdinand und Claudia C. Mit vereinten Kräften werden sie Andreas gut zu Lager 3 bringen, wo es ihm am Nachmittag schon wesentlich besser geht.

Am Beginn des kurzen Gipfelgrats erwartet uns der russische Trainer, der die ganze Zeit etwas vor uns gegangen war. Die fünfzehn Meter auf den Gipfel - eine Schneekuppe - gehen für mich nur noch im 3-Schritt-Takt. Wahrscheinlich schon gestern und vorgestern zuviel getragen und dabei überanstrengt. Claudia geht es besser. Trotzdem: Der Gipfel des Pik Korzhenevskaja ist erreicht - 7105 Meter. Leider gar keine Aussicht und sehr ungemütlich. Aber bei den herrschenden Wetterverhältnissen ist es schon ein großer Erfolg, dass das Zwischenhoch willens war, uns hier raufzulassen.

Nach nur kurzer Pause fürs Gipfelfoto sind wir um zwei Uhr wieder am Grat. Inzwischen schneit und graupelt es auch schon. Der Trainer meint, es sei gefährlich, bei diesen Sichtverhältnissen abzusteigen und daher besser, wenn er mit uns ginge. Soll uns recht sein. Leider müssen wir seine Geduld sehr auf die Probe stellen (er nimmt es gelassen), denn auch das bergab gehen ist hier oben mit erheblicher Mühe verbunden und braucht schon bald so viele Pausen wie all die wunderbaren Gegensteigungen. Zehn Stunden nach dem Aufbruch sind wir zurück in Lager 3. Auch wenn uns da oben niemand runtergucken lassen wollte, war auch der Aufstieg über den Südgrat ein schönes Erlebnis. Und wie dünn die Luft da oben wird, muss man einfach erlebt haben.

Jetzt kommen noch die abendlichen Kocher-Orgien. Heute haben wir tatsächlich in zwei Stunden unser Wasser fertig. übrigens: abends scheint natürlich wieder die Sonne. Aber nur im Lager, der Pik Korzhenevskaja bleibt verhangen. Rollo ist heute in Lager 3 angekommen und möchte morgen den Gipfel besteigen.

20. Tag: Freitag, 30. Juli

Lager 3 (Korsch) - Lager Moskvin

Blick nach draußen: kalt, aber wolkenlos. Ein besseres Wetter kann sich Rollo ja gar nicht wünschen. Daß man heute die Aussicht hätte, die uns gestern entgangen ist, kann uns aber nicht motivieren, da nochmal raufzugehen. Außerdem ist es sehr windig, der Gipfel trägt lange Schneefahnen.

Die anderen fünf waren gestern schon zum Lager 5700 m abgestiegen, und wir werden unsere müden Knochen heute zusammenraffen. Mit dem ganzen Gepäck geht es wiederum sehr langsam nach unten. Als besonders nützlich erweisen sich die Fixseile an der Schlüsselstelle, ohne die der Abstieg eher zum unkontrollierten Freiflug würde.

Die Querung liegt im Schatten und ist dementsprechend kalt; wir sind froh, als wir am Lager 5700 m wieder in die Sonne kommen. Dort bauen Christian und Ferdinand gerade ihr Zelt ab. Sie sind gut eine halbe Stunde mit dem Ausgraben der Schnüre, Haken und des Zeltes selbst beschäftigt, es war wohl eher ein Bau für die Ewigkeit. Andere bauen Zelte wesentlich schneller ab, das Ergebnis ist aber dann nicht unbedingt besser. In unseren deponierten Sachen finden wir einiges, was die am Morgen hektisch aufgebrochenen jungen Herren wohl übersehen haben. Macht ja nix, diejenigen die zuletzt runterkommen, räumen das Zeug ja hinterher. Das gilt besonders für Jupp, der einiges an Müll herunterbringt.

Jetzt noch mehr beladen, geht es zum Lager 1, wo es endlich ein bißchen fließendes Wasser gibt. Pause, zum Gepäck gesellen sich noch Gamaschen, Steigeisen, Jacke, Handschuhe. Anseilgurt. Schön und gut, aber wie befestigt man das alles an einem einzigen Rucksack? Scheint dann doch zu funktionieren, und das alles ohne 2-er Führerschein.

Aber mit selbigem wäre das vielleicht nicht passiert: an der kleinen Kletterpassage muss ich den Rucksack heruntergeben, weil ich überall anstoße. So blöd kann man sich anstellen. Beladen und behängt wie die Weihnachtsbäume laufen wir nachmittags um drei im Basislager ein, wo man uns gleich freundlich nach unserem Erfolg fragt ("Korzheneva kaputt ?") und überreichlich mit Essen und Kompott (endlich was zu trinken) versorgt.

Der Höhenmesser, am Gipfel auf 7105 m gestellt, zeigt jetzt 4600 m an. Irgendwo sind uns also 200 Meter verlorengegangen oder zugelaufen. Mal sehen, wie man daraus einigermaßen realistische Höhenangaben herausmittelt.

Mittlerweile ist auch die Gruppe eines anderen deutschen Reiseveranstalters ("....Club") angekommen. Es wird berichtet, dass sie auch schon beim Mittagessen unsere Plätze vereinnahmt haben - interessante Parallelität der Ereignisse (siehe letztes Jahr). Auf jeden Fall sind wir zum Abendessen pünktlich auf unseren alten Plätzen und können bei den anderen keine böse Absicht feststellen. Der Erfolg von uns immerhin acht Leuten wird eingehend gewürdigt: Nach Ansprache und Plakettenüberreichung gibt es auch einen Kuchen für die "Helden".

Bertram ist inzwischen nach Atschik Tasch geflogen, um sich für den Rückflug der Lenin-Gruppe anzuschließen.

21. Tag: Samstag, 31. Juli

Lager Moskvin

Heute ist Ruhetag und Warten auf Rollo, der gestern bei großartiger Rundsicht, aber starkem Wind und großer Kälte auf dem Pik Korzhenevskaja war.

Einige denken schon laut über den Pik Kommunismus nach. Dazu ist zu sagen, dass in den letzten Tagen eine Gruppe bis zum Pfeilergipfel vorangekommen ist, nachdem alle vorherigen Versuche an Lawinengefahr, Schlechtwetter und zu tiefem Schnee gescheitert waren. Das Plateau und der Rest des Aufstiegs sind noch unberührt. Schlechte Vorzeichen für eine Hau-Ruck-Aktion.

Vormittags ereignet sich anscheinend ein kleines Wunder: Der tadschikische Heli kommt, und alles steht noch. Es war wohl ein Versehen: Als er mittags wiederkommt, hinterläßt er ein beispielloses Chaos.

Mittags kommt Rollo von Lager 3. Wie erwartet hatte er gestern auf dem Gipfel eine prächtige Aussicht auf tausende von Bergen, die wir dann hoffentlich wenigstens auf den Dias nachvollziehen können.

Abends wird in der Bar gefeiert; der von Volodja gemischte "Spirit mit Zitrone" führt zu wunderbar ruhigem Schlaf und einigen Verspätungen beim morgigen Frühstück.

22. Tag: Sonntag, 1. August

Lager Moskvin - Lager am Waltergletscher

Früh am Morgen sind Michael und Andreas schon mit einer Gruppe Russen zum Pik Kommunismus aufgebrochen, nicht ohne Rollo um vier Uhr zu wecken, weil sie doch lieber ein Funkgerät mitnehmen wollen. Wir diskutieren nach dem Frühstück über weitere Pläne. In Anbetracht der Tatsache, dass mittlerweile ein ganzer Haufen Leute am Borodkinpfeiler unterwegs sind und es daher eine Spur geben dürfte, entschließen sich die meisten für einen Versuch am Pik Kommunismus. Wenn wir heute abend ein Stück weit losgehen und morgen den Borodkin-Pfeiler vollständig schaffen (das sind allerdings 1600 Meter), geht es mit der Zeit genau auf: Dienstag zu Lager 3, Mittwoch Lager 4, Donnerstag der Gipfel und Freitag wieder ins Basislager. Am Samstag fliegt der Heli. Wenn irgendwas dazwischenkommt, klappt das Ganze natürlich nicht.

Die anderen Gruppen berennen inzwischen massenhaft den Pik Korzhenevskaja. Es soll dabei auch solche geben, die unbedingt Hochträger zu brauchen glauben. Vielleicht sollten sie ja eher ihr Gepäck entrümpeln und all die schönen bequemen Sachen weglassen, dann kann man das Gepäck auch selber tragen und somit den Berg selbständig besteigen.

Heute wollen wir noch an die Moräne des Waltergletschers 200 m oberhalb des Basislagers, damit wir morgen den ermüdenden Schutt nicht gehen müssen. Am Abend um zwanzig vor fünf geht es los. Als Schlachtruf ergibt sich "normal, alles versammelten, alles Produkten" (versteht man nur, wenn man Volodjas meistgebrauchte Vokabeln kennt). A propos Produkten: Dabei haben wir einige Dosen Fleisch, Kartoffelbrei und ein paar in der Bar zu horrendem Preis erworbene Fläschle Bier. Daraus wird ein höchst bekömmliches und gemütliches Abendessen im Lager am Waltergletscher. Auch der Schneeschauer, der uns auf dem gut einstündigen Weg dorthin überfallen hat, ist schon wieder vergessen.

Aufbruch zum Pik Kommunismus
Aufbruch zum Pik Kommunismus


Claudia im "vorgeschobenen Basislager"


Rollo und Jupp

23. Tag: Montag, 2. August

Lager am Waltergletscher - Borodkin-Pfeiler - Lager im Pamirplateau

Borodkinpfeiler
Der Borodkinpfeiler

Aufstehen um fünf, und schon um zwanzig vor sechs ist alles verpackt und abmarschbereit. Was für ein Unterschied zu diesen 6000 m-Lagern.

Schnell ist der Gletscher überquert, und auf der Gletscherrampe erreicht uns schon die Sonne. Dementsprechend warm wird's auch gleich. Die Felspassage ist leichter und schuttiger als erwartet: erst eine vereiste Rinne mit Fixseil, viel Geröll (I) und dann eine Zweimeterstufe als Gymnastik-Einlage (Fixseil, A0).

Darüber folgt die Route meist dem Schneerücken, der Tiefblick auf die Gletscher wird immer eindrucksvoller. Jenseits von Lager 1 gibt es einige Spalten, an denen die Fixseile recht nützlich sind. Das wissen allerdings auch die seltsamen Leute, die versuchen, einen Hundeschlitten nach oben zu befördern. Ausgerechnet die komplizierteste Spalte wird von ihnen eine halbe Stunde lang blockiert. Wir erfahren, dass sie einen Film fürs Festival in Trient drehen: Besteigung des Pik Kommunismus mit Hundeschlitten. Am Elbrus und am Pik Lenin waren sie schon, und ins Guiness-Buch wollen sie natürlich auch. Damit ist auch klar, wo die Hundefutter-Fähnchen am Gletscher herkommen.

So schön und logisch die Route auch sein mag: Der Pfeiler nimmt und nimmt kein Ende, und weiter oben kommt noch eine ganze Menge Spalten. Besonders die letzte ist hübsch: sie hat nämlich kein Fixseil. Endlich um halb sechs ist der Pfeilergipfel (6240 m) erreicht. Nach zwölf Stunden.

Eine halbe Stunde und einen haarsträubend steilen Abstieg später beziehen wir unser Lager auf dem Firnplateau in arktischer Szenerie und Temperatur. Das Kochen dauert bis neun.

24. Tag: Dienstag, 3. August

Lager im Pamirplateau - Lager am Pik Duschanbe

Als Ausgleich für gestern geht es heute erst um halb zehn los. Vorher ist es aber auch noch kräftig kalt. Nach über einer Dreiviertelstunde Plateauquerung wird der Rücken des Pik Duschanbe angegangen. Der ist natürlich viel länger und mühsamer als in unseren schlimmsten Träumen.

Um halb drei sind die ersten am Lager 3 in einem kleinen Sattel auf 6600 m, wir kommen um vier und bringen den Schneefall mit. Michael und Andreas begegnen uns, sie waren heute am Gipfel und steigen noch aufs Plateau ab. Abends zieht es sich zu, über Moskvin ist ein Gewitter zu hören, es schneit. Ob das jetzt der längst überfällige Schlechtwettereinbruch ist?

25. Tag: Mittwoch, 4. August

Lager am Pik Duschanbe - Pik Kommunismus - Lager im Pamirplateau

Bei völliger Dunkelheit ruft Rollo, ob wir schon wach sind - Zeit zum Aufstehen - und aus seinem und Jupps Zelt hört man den Kocher. Auf die wahre Uhrzeit (1 Uhr) hin wünscht er Jupps High-Tech-Uhr in ziemlich tiefes Wasser; es wird wieder ruhig. Dafür klappt das tatsächliche Aufstehen um viertel vor sechs umso besser.

Da auch das Wetter seltsamerweise immer noch gut ist, gehen wir um sieben los. Da haben wir das erste Wegstück wenigstens schon Sonne. Das ist auf 6600 m bei den entsprechenden Temperaturen ein wichtiger Aspekt. Die Spur ist vom gestrigen Schneefall zugeschneit, und Rollo, Claudia C, Christian und Jupp leisten ganze Arbeit. Ich komme sowieso kaum hinterher, geschweige denn käme Spuren in Frage. Am Lager 4 auf 6900 m deponieren diejenigen, die noch welche haben, die Rucksäcke. Nun fehlen uns noch sechshundert Meter, meist Schnee- oder Firnhang.

Die eigentlich geplante übernachtung auf Lager 4 haben wir gestrichen, weil das Wetter mittelfristig zu unsicher scheint. Und heute sieht es noch gut aus. Inzwischen ist auch am Gipfelhang Sonne. Wenigstens zu kalt wird es uns also dort nicht. Eine idiotische Spur geht im Zickzack hoch, die Steigeisen sind nötig, der Eispickel ganz nützlich. Man verschätzt sich leicht in der Zeit, und dreieinhalb Stunden sind eine Ewigkeit. Besonders wenn die Sonne brennt und wir nur knapp dem Sonnenstich entrinnen. Der anfängliche Schwung nimmt ab; glücklich, wer mehr als zehn Schritte aufs Mal machen kann. Um halb zwei sind wir am Ende des Firnfeldes. Der begrenzende Fels ist hier nur ein paar Meter hoch (und einfach) und trägt einen schönen Firngrat - über ihn erreichen wir in einer halben Stunde den Punkt, der für uns jetzt endlich Realität ist: Der Gipfel des Pik Kommunismus, 7495 m. Nummer 35 in der Weltrangliste, und für uns der zweite Siebentausender innerhalb von sieben Tagen, diesmal im Alpinstil bestiegen.

In der Steilflanke zum Pik Kommunismus.
In der Steilflanke zum Pik Kommunismus.

Am Gipfelgrat des Pik Kommunismus, auf 7400 m.
Am Gipfelgrat des Pik Kommunismus, auf 7400 m.

Die Fernsicht (ab ungefähr 30 km) ist etwas durch überall aufsteigende Wolken behindert, aber auch in der näheren Umgebung ist die Perspektive "von oben" nicht ohne Reiz: Pamir-Plateau und die von unten so stolzen Berge Pik Leningrad und Pik Moskva; im Norden die massive Kette vom Pik Izvestija zum Pik der Vier, daneben natürlich als wuchtiger Klotz der Pik Korzhenevskaja. Durch die Wolken kann man stellenweise die breite Bahn des Fedtschenkogletschers erkennen - ein unvorstellbar riesiger Eisstrom, 77 Kilometer lang. Und so viele "kleine" Sechstausender, deren Namen wir nicht kennen, oder die nicht mal Namen haben.

Es ist ziemlich gemütlich, einigermaßen mild und windstill; am Gipfel des höchsten kommunistischen Berges steht übrigens ein Kreuz, auch wenn es nur aus zusammengebundenen Zeltstangen besteht und in einem Steinhaufen verankert ist. Gruppen- und Einzelfotos mit allen erdenklichen Kameras und in allen erdenklichen Kombinationen dokumentieren den schönen Erfolg, wir sind immerhin alle sechs gleichzeitig oben. Vermutlich ist es auch das erste Mal, dass zwei Claudias gleichzeitig auf dem Pik Kommunismus stehen. Danach machen wir uns wieder auf den Abstieg. Diesmal das Firnfeld mitten herunter. Das wäre so einfach, wäre man nicht so fertig, dass man sich eh kaum mehr auf den Beinen halten kann. Trotzdem sind wir nach zwei Stunden wieder am Lager 4 und eine Dreiviertelstunde später am Lager 3, wo wir losgegangen waren.

Nun ist die überlegung, ob man in dieser relativ großen Höhe nochmals übernachten oder besser noch aufs Plateau absteigen sollte. Das bringt uns immerhin 700 Meter. Also verpflegt man sich jetzt erst mal, packt dann alles zusammen und baut die Zelte bei Lager 2 wieder auf, um sich dort nur noch in die Koje zu legen. Wir kommen kurz nach acht dort unten an, es ist schon dunkel.

Zu unserer überraschung wartet dort eine Gruppe Russen mit Heißwasser und Tee auf uns. Sie waren einen Tage vorher auf dem Gipfel gewesen (mit Michael und Andreas) und haben uns auf dem Plateau des unsicheren Wetters wegen abgewartet. Claudia und mir, die als letzte kommen, bieten sie zwei Plätze in einem Zelt an, dann müssen wir unser eigenes nicht extra aufbauen. Wir haben ja nicht unbedingt ahnen können, dass der Dritte im Zelt anscheinend Unmengen Knoblauch gegessen hat, einen sehr geräuschvollen Schlaf hat und eine ganze Menge Platz braucht.

26. Tag: Donnerstag, 5. August

Lager im Pamirplateau - Lager Moskvin

Nach eher schlecht als recht verbrachter Nacht um sieben Uhr ein Ruf "good day sunshine". Sunshine vielleicht, aber die Temperatur könnte gerne vierzig Grad höher sein. Trotzdem frühstückt man und sammelt sich zusammen.

Lager im Pamirplateau, 5900 m
Lager im Pamirplateau, 5900 m

Wie befürchtet, sind die dreihundert Meter Gegensteigung zum Pfeilergipfel hinauf eine einzige Qual. Nach zweieinhalb Stunden geht es endlich (fast) nur noch bergab. An der ersten Spalte, der ohne Fixseil, die von oben übersprungen werden muss, entledigt sich Claudia ihres Rucksacks, der 1500 m Abstieg alleine vollführt. Das geschah natürlich mitnichten freiwillig: Sie wollte ihn über die Spalte werfen, aber es war noch keiner da, um ihn aufzufangen. Auf der Höhe rennt man nicht so schnell... Es war zwar nichts Unersetzliches drin, aber es kommt doch einiges an Verlust zusammen: Schlafsack, Kocher, Hosen, gute Handschuhe und einiges mehr.

Unendlich mühsam ist der weitere Abstieg über die tausend Meter Gletscher, das Felsstück (mit künstlerischen Einlagen von Hartmut und Jümar-Klemme), dann die Rampe und quer über den Gletscher zu unserem Lagerplatz von vor vier Tagen. Ergebnis: Topf geklaut, Wurst gefressen, leere Bierflaschen natürlich noch da. Man schreibt das der hiesigen Wolpertinger-Variante zu, die auch noch keiner gesehen hat, die aber alle möglichen Untaten anstellt.

Inzwischen hat es sich wieder mal zugezogen und regnet und schneit ein wenig. Im Vergleich zu gestern haben wir uns wohl richtig entschieden, das Verfahren um einen Tag abzukürzen. Nun noch den Moränenweg eine Dreiviertelstunde heruntergestolpert, und wir sind wieder "zu Hause", wo wir auch gleich gut verköstigt werden. Das Wichtigste ist allerdings das Kompott: Hauptsache Durst. Heute abend gibt's keine Plaketten: Gerüchten zufolge sind nicht genügend Pik Kommunismus-Plaketten da, man hat mit so vielen Besteigern gar nicht gerechnet. Dafür überreicht uns abends in der Bar Volodja die Besteigungszertifikate für Korsch und Kommunismus. Und die Bar macht Rekordumsätze.

27. Tag: Freitag, 6. August

Lager Moskvin

Mühsames Aufstehen. Das Wetter ist immer noch schön. Den heutigen Tag haben wir sozusagen übrig, weil wir Lager 4 ausgelassen haben. Dadurch hatten wir am Gipfel auch das bessere Wetter. Heute können wir schön gemütlich Klamotten trocknen, Ausrüstung sortieren und packen. Wir können unsere Aufmerksamkeit auch voll und ganz den Mittagessens-Nudeln widmen, die wieder mal in unidentifizierbarem Aggregatzustand vor uns landen. Da fast jeder Probleme mit den Lippen hat, ist das Essen an sich schon mit technischen Problemen verbunden, besonders wenn es heiß oder gut gewürzt ist - und was ist das nicht. Die Kartoffeln am Abend gleichen die lange Kochzeit der Nudeln wieder voll aus.

28. Tag: Samstag, 7. August

Lager Moskvin - Taschkent

Irgendwas war gestern faul am Essen oder an uns. Claudia und Ferdinand haben abends mit Magenkrämpfen begonnen, Rollo vegetiert kaum mehr vor sich hin, und mich hat's nachts erwischt. Besuch bei Frau Doktor, komische Flüssigkeit getrunken und Ratschlag empfangen, nichts zu essen oder zu trinken außer grünem Tee - Mahlzeit!

Nach dem Zusammenpacken aller Sachen folgt die große Verabschiedung. Im Lauf der Zeit wurde das Verhältnis zum "Bodenpersonal" im Lager immer besser (es war von Anfang an gut), und der überraschende "Doppelsieg" hat nicht nur Lagerleiter Viktor sehr gefreut. Man verleiht uns noch Anstecknadeln vom Pik Kommunismus (aber nicht diejenigen, die ausgegangen waren), großes Umarmen, und da kommt der Heli auch schon, sogar pünktlich um zehn Uhr wie vorausgesagt. Hektik, Panik, Abflug.

Ankunft in Taschkent, gleichzeitig mit dem Heli aus Atschik Tasch. Die Hitze erschlägt uns fast. Wir warten mittelasiatische zehn bis fünfzehn Minuten (das ist eine Stunde) auf den Bus. Man kutschiert uns in ein "Privathotel". Dort gibt es nach der chaotischen Zimmerverteilung Essen, dazu erstaunlicherweise (natürlich gegen Aufpreis) sogar Bier.

Es folgt eine chaotische Stadtrundfahrt. Zuerst verlieren wir Jupp, Michael und Andreas auf dem Bazar - nicht unbedingt durch ihre Schuld, sie haben nur kurz was gekauft - dann taucht der Busfahrer beim Zwischenhalt an der Oper nicht auf. Abgesehen davon ist auch das Material nicht ganz up to date: Die Bustüre läßt sich nur per Hand öffnen und schließen; zum schließen braucht auch der Fahrer meist mehrere Versuche.

Taschkent ist als Stadt nicht allzu abwechslungsreich, da es 1966 bei einem Erdbeben praktisch vollständig zerstört wurde und danach im entsprechenden sowjetischen Stil wiederaufgebaut wurde. So konzentriert sich die Führung auf Ministerien-Hochhäuser und alle ähnlichen Errungenschaften der neuen Republik Usbekistan bzw. der sozialistischen Vergangenheit. Einzig interessant ist vielleicht der Freizeitpark, aber nur, wenn man sowieso in Taschkent ist. Das Abendessen im "Hotel" dauert zwei Stunden, ist aber ausgesprochen gut und reichlich.

Die 'Hotelküche' in Taschkent
Die "Hotelküche" in Taschkent
(mit den bescheidensten Mitteln hat man hier sicher mehr als in manchen "sowjetischen" Häusern erzielt)

29. Tag: Sonntag, 8. August

Taschkent - Moskau

Nach Frühstück mit Ei und Wurst wird der Bus wieder beladen und ein imaginärer Fahrgast gesucht, dessen Existenz aber nur im fehlenden überblick der Dolmetscherin/Stadtführerin begründet ist. Der Busfahrer bringt es nicht fertig, vor dem Abfertigungsgebäude zu halten - wir dürfen also das ganze Gepäck kreuz und quer durch die Gegend tragen.

Das Flughafenpersonal ist mit dem Einchecken des Fluggepäcks einer Expedition von neun Leuten offensichtlich hoffnungslos überfordert und schreit hauptsächlich herum, ersetzt grüne durch gelbe Gepäckzettel und andersrum... Wenigstens scheinen wir überhaupt kein (?) übergepäck zu haben. Wie das nur kommt? Ob das was mit dem Fuß mit der Sandale zu tun hat, der so unglücklich nahe an der Waage war?

Die Sicherheitskontrolle besteht darin, das Handgepäck einer resoluten Dame zu überreichen, durch den wahrscheinlich funktionslosen Türrahmen zu schreiten und das Gepäck wieder in Empfang zu nehmen. Das Flugzeug ist überraschenderweise ein richtiges, und es startet auch pünktlich. Und wenn man den Gummiadler von vornherein wegläßt (man ist ja lernfähig), ist das Essen erträglich. Nur wo die Ameisen herkommen, bleibt eines der vielen ungelösten Aeroflot-Rätsel.

Da wir vorhin von Unfähigkeit sprachen: Russische Behörden können das noch besser, und zwar in Moskau-Domodedovo. An der Treppe am Flugzeug steht ein Beamter und sammelt alle Pässe ein. Offenbar ist er für die Menge unvorbereitet, denn er braucht noch einige für andere Zwecke gedachte Papiertüten aus dem Flugzeug, um sie alle zu transportieren. Ihm folgend, traben die Passagiere nun quer übers Rollfeld - beinahe von der Tragfläche eines durchrollenden Flugzeugs dezimiert - ins Abfertigungsgebäude.

Dort verkrümelt er sich in seinem Schalter für die Paßkontrolle. Der ist übrigens offensichtlich ganz neu gebaut. Nun steht alles voller Leute, die auf die Rückgabe ihrer Pässe warten, und er hat sie auf einem Stapel, liest den obersten - womöglich noch falsch - vor und wartet, dass der Paßinhaber vielleicht auch kommt. Wo ihn doch nur diejenigen hören können, die direkt vorm Schalter stehen. Dafür werden sie wohl kaum den schönen Schalter gebaut haben. Das ganze Spielchen dauert etwa eine Stunde, und wir überlegen öfters, ob wir ihn nicht einfach boykottieren sollten, bis er da rauskommt und die Pässe vernünftig verteilt. Die Zöllnerin, die mir schließlich meinen Paß zurückgibt, guckt mich einige Minuten an, schafft es aber nicht, meinen Namen aus dem Paß vorzulesen, um mir vielleicht mitzuteilen, dass sie mich meint. Welche Fähigkeiten muss man denn noch haben, um Grenzbeamter zu werden?

Nun gehen wir - aus derselben Tür, durch die wir vorher reingekommen waren - quer übers Rollfeld zum Gepäck, das mit uns im Bus in Richtung Ausgang gefahren wird. Nur noch eine Treppe hoch, durch die Eingangshalle und draußen runter zum Parkplatz, und schon sind wir an den beruhigenden vertrauten grauen Bussen von Bychkovs Firma.

Diesmal sind wir wie letztes Jahr im Hotel "Saljut". Wenn man die beiden Hotels nun direkt vergleicht, schneidet das Saljut wesentlich besser ab. Mittagessen, Fahrt in die Stadt, endlich das immer wieder verschobene Gruppenfoto (vorm Kreml, sieht dann eben nicht sehr alpinistisch aus) und ein bißchen Mitbringsel einkaufen. Abendessen bei McDonalds (Макдоналдс) - was tut man nicht alles in der Gruppe. Immerhin: Sie haben die saubersten Toiletten in ganz Moskau. Rückfahrt zum Hotel mit der Metro - der VW-Bus ist kaputt.

Die Moskva in Moskau
Die Moskva in Moskau

Roter Platz
Roter Platz in Moskau

30. Tag: Montag, 9. August

Moskau

Auf vielfachen Wunsch wird die Schiffahrt auf der Moskva auf den Nachmittag verschoben, um morgens Zeit zum Einkaufen zu haben. Bei der Souvenir- und Gerümpelverkauferei am alten Arbat ist tatsächlich nichts mehr los. Einige sind anscheinend solide geworden und haben sich in die Läden verlegt.

Mittagessen in einem Restaurant in der Stadtmitte, das immerhin nach Restaurant aussieht. Das Essen ist aber noch nicht ganz mitteleuropäisches Niveau. Wir streifen noch durchs ZUM-Warenhaus, wo es halbwegs was zu kaufen gibt, wenn auch zum Großteil Westartikel. Die Schiffahrt wird nur von Michael und Andreas in Anspruch genommen, der Rest geht an die Leninberge, während wir weiter im Stadtzentrum bleiben.

Um sieben Uhr Zirkus. Die von den Leninbergen sind immer noch nicht wieder da, weil die dortige Metrostation geschlossen ist, was sie zu einem Umweg zwingt. Nachdem wir uns neue Karten gekauft haben, trudeln sie endlich ein. Der Zirkus ist ganz gut, war aber im letzten Jahr besser (dieses Jahr keine Leoparden, keine Trapeznummer).

Abends noch kleines Treffen in Bychkovs Firma mit Essen und Trinken. Claudia darf auf Anweisung des Arztes (das ist der, der sich sein Geld hauptsächlich als Fahrer bei dieser Firma verdient) keinen Sekt trinken, obwohl der ihr ja eigentlich schmeckt. Sie wird zu Wodka verdonnert, das sei bei Durchfall gesünder - meint der führende Herzchirurg.

31. Tag: Dienstag, 10. August

Moskau - München

Morgens um zehn sind wir am Flughafen. Sheremetjevo-2 und stellen fest, dass das übergepäck-Drama diese zwei Stunden auch wirklich benötigt. Das Flugzeug ist schon wieder eine Tu-154-Krähe, die aber pünktlich abhebt und sogar fast eine halbe Stunde zu früh in München landet. Dort muss sie aber wieder auf dem Platz für die, die nicht ganz dazugehören, stehenbleiben.

Die gesamte Zoll- und Gepäckprozedur ist nach gut einer halben Stunde erledigt, und wir kommen reichlich eine Stunde früher auf den Zug, als wir eigentlich geplant hatten.

Nachtrag

  • Das Geld von Claudia C ist im Basislager wieder aufgetaucht. Das Lagerpersonal hat es gefunden und der nächsten Expedition mitgegeben, die es dann ihr geschickt haben.
  • Jegliche Ähnlichkeit mit irgendwelchen Personen könnte beabsichtigt sein; dabei wurden aber gegen keinerlei Einzelpersonen böswillige Absichten verfolgt.
  • Der Pik Kommunismus (bis 1986 Pik Stalin) wurde im Juli 1998 zu "Ismoil Somoni" umbenannt, zu Ehren des Gründers des ersten Samanidenstaates vor 1100 Jahren, in dessen Nachfolge sich die heutige tadschikische Republik sieht.

Fußnoten zum Text


Diese Reise unternahmen wir 1993 als Teilnehmer einer 10-köpfigen kommerziellen Expedition, organisiert von external linkHauser Exkursionen, München. Auch heute (1996) noch sehen wir sie als die "perfekteste" unserer bisherigen Fernreisen. Nicht nur, weil wir am Ende doch beide Siebentausender besteigen konnten (und insgesamt 8 von 10 Teilnehmern!), sondern auch weil die Gruppe sich äußerst harmonisch zusammengefügt hat und unser Expeditionsleiter (Rollo Steffens) sich perfekt als "Erster unter Gleichen" in die Gruppe wie auch in die russisch/lokale Mannschaft einfügte.
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Letzte Änderung am 17. Oktober 1998 durch Hartmut Bielefeldt