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Kurzzusammenfassung - Berge |
Pik Tschapajev Nordgipfel | 6095 m |
| Khan Tengri | 7010 m | Versuch bis ca. 6400 m
| Pik Trehglavnyj ("Triglav") | 5500 m | bis 5110 m
| Pik Pesni Abaja | 4901 m |
| Utschitel' | 4527 m |
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Tien Shan - Im "Himmelsgebirge"
Expeditionsbericht Tien Shan 1995 (Versuch Khan Tengri - Pik Pobeda)
(IMC Dossenheim)
30. Juli bis 31. August 1995
Expeditionsleitung: Manuela Siegel
Teilnehmer:
Claudia Bäumler, Hartmut Bielefeldt,
Rainer Bayreuther, Hermann Kratzing, Jürgen Thum
nur bis 24.8.: Marcel und Jeanne-Marie Demont
Sonntag, 30. Juli
Frankfurt - Almaty
Banges Warten am Flughafen Frankfurt: Ist der Termin jetzt
wirklich richtig? Im Begleitschreiben, das wir letzte Woche
bekommen hatten, stand 29.7., auf den Tickets aber 30.7. Zum Glück
taucht der Rest der Belegschaft kurz nach halb vier auf, nur einer
war schon gestern vergeblich hier. Unser Fluggepäck wiegt diesmal
tatsächlich nur 40.7 kg, denn Zelte, Hochlagerverpflegung und
sonstiger Allgemeinkrimskrams wird vom Veranstalter IMC gestellt.
(Wir kommen später noch öfters darauf zurück.)
Der Lufthansa-Flug nach Almaty (Alma-Ata) ist eine ganz andere
Welt als unsere früheren Aeroflot-Abenteuer in Bezug auf Service
und Pünktlichkeit. Man ist praktisch bis zur Landung noch
"zuhause". Abflug in Frankfurt um 17.30, und nach
einer kurzen Nacht und dem Vorstellen der Uhr um fünf Stunden
landen wir um 5.15 in Kasachstan.
Montag, 31. Juli
Almaty - Karakol
Zuerst allgemeine Verwirrung, denn wir haben kirgisische Visa, und
alles um uns herum muss sich am Konsulatsschalter ein kasachisches
ausstellen lassen. Es ist aber auch mit dem kirgisischen Visum
unproblematisch, man braucht kein zusätzliches Transitvisum.
Größere Verzögerungen erzeugt der Herr, der das
Gepäckdurchleuchtungsgerät nur bedient, wenn er Lust hat und den
Rest der Zeit Autorität und Wichtigkeit ausstrahlend herumsteht.
Wobei er glücklicherweise konzentriert in eine Richtung schaut, so
dass man mit einem Teil des Gepäcks hinter ihm vorbeigehen kann.
Gleich außerhalb des Flughafens erwartet uns der örtliche
Dolmetscher, der uns auch sofort in einen Bus verfrachtet, der den
Atschik-Tasch-Bussen (siehe Pik Lenin 1992) äußerst ähnlich sieht.
Auch dieser hat Blattfedern, und entsprechend ist der Fahrkomfort.
Wir fahren von Almaty direkt zum Issyk-Kul-See, das sind etwa 350
km. Die anfangs breite Straße wird schmaler und löchriger, ist
aber fast überall geteert. Zuerst geht es durch den grünen Rand
der Ebene von Almaty, nach 100 km wird es deutlich trockener.
Frühstück/Mittagessen gibt es am Straßenrand in einer
"Imbiß-Jurte": Lagman (eine Art Gulaschsuppe
mit Kohl und Nudeln) und schwarzer Tee als erster Vorgeschmack
auf heimische Küche. Der weitere Straßenverlauf zwingt zu einigen
Pausen an den wenigen Bächen, die das Nachfüllen des qualmenden
Kühlers erlauben. Ab der kirgisischen Grenze wird es plötzlich
wieder grün, es gibt sogar hübsche Wälder. Nach diesem idyllischen
Hochtal geht es langsam herunter zum See, und die Gegend wird
wieder trockener (und die Straße wieder besser, an der Grenze war
es eine ziemliche Holperei).

Eine Imbiß-Jurte ("Rasthaus" wäre etwas zu viel gesagt) an der Straße von Almaty nach Karakol

Landschaft in Kirgisien
Unser Quartier in Karakol (früher Przhewalsk) ist
das hiesige Alpinistenlager (Ala-too), wo es auch Abendessen gibt
(Lagman und Tee oder Kaffee). Das Haus ist sieht recht originell
aus und ist für hiesige Verhältnisse sehr sauber und in Ordnung.
Dienstag, 1. August
Karakol - Maida Adir - Basislager Süd-Inylchek
Morgens erst mal Ausschlafen. Nach dem Frühstück verladen wir das
Gepäck und uns in einen Armeelastwagen und werden ins
Ausgangslager Maida Adir gefahren. Die Straße ist unerwartet gut,
nur am Tschon-Aschu-Paß (3900 m) ungeteert. Nach 150 km erreichen
wir die Ortschaft Inylchek1: ein aufgelassener Bergwerksort, offensichtlich eine
der vielen alten sozialistischen Fehlplanungen. Weitere 15 km das
Tal hinein liegt das Militärlager Maida Adir (2760 m), wo wir nach
4 Stunden ankommen. Die erste Aktion der gleich herbeikommenden
zwei anscheinend russischen Soldaten2 ist eine Ausweiskontrolle mit Vergleich mit
der Liste, die unsere Begleiter dabeihaben. Der dritte lässt
inzwischen den Schäferhund durch den Bus schnüffeln.
Danach gibt's im Bergsteiger-Zeltlager Kaffee oder Ovomaltine und
Brot und schwarze Johannisbeermarmelade, die auch ansehnliche und
langanhaltende Flecken in die Hose zaubert. Mal sehen, ob's dabei
bleibt, dass der Hubschrauber uns heute abend um sechs ins
Basislager Inylchek fliegt. Bis dahin machen wir einen kurzen
Ausflug auf die Hänge oberhalb Maida Adir, wo wir wohl für längere
Zeit die letzten Bäume begutachten können.
Tatsächlich, und sogar schon um halb sechs. Diesmal ist die
Heckklappe wohl zur Gewichtsersparnis abmontiert, aber es ist ein
Gepäcknetz da. Der Soldat, der uns übrigens auch das Fotografieren
des Militärlagers untersagt hat, läuft jetzt im T-Shirt und mit
Ghettoblaster herum, offensichtlich ist die Amtshandlung beendet.
Der Flug dauert etwa eine halbe Stunde durch ein endloses
Gletschervorfeld und einen genauso endlosen, meist geröllbedeckten
Inylchek-Gletscher. Khan Tengri und Pik Pobeda sehen beeindruckend
aus - der eine äußerst steile Pyramide mit einer glatten
Marmorwand unterhalb der Spitze, der andere eine breite, wuchtige
Festung mit langen, flachen und enorm hochgelegenen Graten zur
Seite.

Khan Tengri (7010 m)
Der Hubschrauber landet mitten auf dem Gletscher, wir haben eine
halbe Stunde Fußmarsch zum Basislager, das auf der rechten
Seitenmoräne liegt, also auf der Seite des Khan Tengri. Über dem
Lager steht - eindrucksvoll steil - der Pik Maxim Gorki (6050 m) -
zweitausend Meter höher.
Das Lager hat leider abends recht bald Schatten, aber allzu kalt
wird es uns nicht; wir müssen erst mal unser Gepäck von der Moräne
holen, wo der Hubschrauber es abgeladen hat.
Wir bekommen verschiedene Holzhütten zugewiesen, eine für vier bis
fünf, eine für zwei und eine für einen bis zwei. Sie machen einen
deutlich solideren Eindruck als die Hauszelte im Lager Moskvin
1993. Neben den Behausungen für die Gäste besteht das Lager aus
der Hütte des Lagerchefs Sergej, der Bar, der Sauna, der Küche und
dem Mannschaftszelt (Eßraum). Dazu kommen natürlich die Örtchen,
die zwar hervorragende Aussicht bieten, die Umbauten der
Donnerbalken sind aber reichlich windschief auf den
gletscherseitigen Hang der Moräne gesetzt. Außerdem liegt die
Herrentoilette zehn Höhenmeter unter unseren Hütten, der Rückweg
ist also recht mühsam. Um acht Uhr gibt es Abendessen. Wie üblich,
ist das Essen gut und reichlich, es gibt Eintopf mit Kartoffeln,
Gemüse, Hackfleisch, und Brot, Honig und Johannisbeermarmelade.
Köchin Nelly, der gute Geist des Lagers, sorgt rührend für ihre
Gäste.
1Die Schreibweise ist nicht ganz klar:
Man findet Inylchek oder Engylchek auf verschiedenen
Landkarten, und dasselbe gilt für den Gletscher und für unser
Basislager.
2Die Außengrenzen der
GUS werden im Allgemeinen von russischem Militär gesichert.
Zumindest noch 1995.
Mittwoch, 2. August
Basislager
Die ersten Ausfälle: Beim Frühstück sind wir nur zu sechst.
Manuela hat so ziemlich alles, was man sich einfangen kann und hat
die Nacht über nur Pendeldienst zur Toilette gemacht. Jürgen
leidet an der Erkältung, die er sich im Odenwald(!) geholt hat
(Auto mit Klimaanlage). Der Rest hat mehr oder weniger das übliche
Kopfweh.
Zum Frühstück gibt es Grießbrei und Bliny (Pfannkuchen).
Um zwölf Uhr Teepause mit Gebäck (Borsok), und um zwei ist Zeit
fürs Mittagessen mit Suppe, Nudeln und Kompott. Nach unserer
kurzen Lagebesprechung kommt aus Westen ein Gewitter mit
Schneesturm angerauscht, so dass wir uns gleich wieder in die
Kojen verflüchtigen. Nachmittags sehen wir uns die vom
Veranstalter IMC mitgebrachte Ausrüstung an. Von den acht Zelten
sind drei wegen ihres Gewichts und des komplizierten Aufbaus nur
fürs Basislager geeignet, ein Zelt ist defekt und ohne Stangen.
Für 8 Leute gibt es drei Kocher mit drei Benzinflaschen, dafür
aber sechs Töpfe. Die Kocher sind aber nicht die großen MSR XGK,
sondern nur die Whisperlite, die nur mit gutem Benzin
funktionieren. Mit dem hiesigen, bekanntermaßen dreckigen Benzin
laufen sie, wenn überhaupt, höchstens schwach. An einen Windschutz
hätte man ruhig auch noch denken können. Mit dieser Ausrüstung
wäre es mehr als ein Wunder, wenn wir auch nur einen der Berge
besteigen könnten. Abends bekommt Jürgen Besuch von Nelly, die
Sodawasser zum Gurgeln und Tee mit Johannisbeeren für die
Krankenpflege bringt und seinen Hals erst mal einer Untersuchung
unterzieht ("ich habe zwei Söhne, ich kenne das").
Die ganze Nacht kommen und gehen die Gewitter und werfen ein paar
Zentimeter Schnee hin.
Donnerstag, 3. August
Basislager - Moränenlager und zurück
Nach dem Frühstück - heute gibt's die schon aus dem Lager Moskvin
berüchtigten Milchnudeln - fassen wir das mitgebrachte Essen für
die Hochlager aus. Wieder eine kleine Überraschung: pro Person
sind nur fünf gefriergetrocknete Mahlzeiten vorgesehen. Man kann
sich leicht ausrechnen, dass wir da schon am Khan Tengri
verhungern. Boshafte Stimmen sprechen von der
Eitel-Diät. (Der Chef von IMC heißt Hans Eitel.) Zweite
Überraschung: Dank Herrn Eitel haben wir nur eine Lawinenschaufel
für acht Personen. An gleichzeitiges Arbeiten z.B. beim
Zeltaufstellen ist da natürlich nicht zu denken, und in
verschiedene Gruppen aufteilen können wir uns auch nicht.
Nun gut, so transportieren wir erst mal das ins erste Lager, was
wir so haben. Der Weg führt vom Basislager aus erst durch ein
mittleres Spaltengewirr mit vielen Gegensteigungen in die
Gletschermitte, an eindrucksvollen Hängegletschern zwischen Pik
Gorki und Pik Tschapaev vorbei an die Einmündung des
Semenovski-Gletschers in den Südlichen Inylchek-Gletscher. Dort
liegt das Moränenlager, nur 200 Meter höher als das Basislager.
Als wir nach drei Stunden an der Moräne ankommen, werden wir von
der dort lagern den russischen Gruppe gleich mit heißem Tee und
Keksen begrüßt. Am Morgen war das Wetter noch recht sonnig, aber
oberhalb etwa 6000 m hielt sich eine Art Hochnebeldecke, die
mittags herunterkommt und uns mit einem Schneeschauer erfreut,
gerade als wir unser Zelt fürs Materialdepot aufstellen. Der
Rückweg dauert zwei Stunden und endet im
"Einkehrschwung" bei Nelly (Tee und Kekse). Die andere
deutsche Gruppe (aus Ludwigshafen), die zwei Tage länger hier ist
als wir, ging heute endgültig auf das Moränenlager, um von dort
aus die Hochlager aufzubauen. Dabei übrigens auch der 66jährige
Max, der letztes Jahr mit mir zusammen den Fachübungsleiter-Kurs
beim Alpenverein gemacht hat - die Welt ist eben klein.
Freitag, 4. August
Basislager - Moränenlager und zurück
Manuela und Jürgen fliegen heute nach Maida Adir herunter, denn
ihr Zustand hat sich immer noch nicht gebessert. Wir bringen die
zweite Fuhre Material ins Moränenlager. Heute ist das Wetter
unerwarteterweise sehr gut. Im Moränenlager bauen wir zwei weitere
Zelte auf, davon eines, bei dem wir nicht ganz sicher sind, ob es
denn tatsächlich ein Zelt sein soll. Bei der guten Sicht heute
können wir die umstehenden Berge auf uns wirken lassen; der Pik
Gorki ist eine Festung aus überwächteten Graten, steilen
Eisflanken und riesigen Gletscherbrüchen, zweitausend Meter hoch
über uns. Zwischen ihm und dem Khan Tengri ragt der Pik Tschapaev
mit grandiosen Granitmauern und noch besseren
Wächten darauf in den Himmel. Jenseits des Lagers gehen die
Gletschertäler noch endlos weiter, ganz hinten sieht man an der
chinesischen Grenze den Pik Druzhba (6800 m, Berg der
Freundschaft) und den Pik der Militärtopographen (6873 m) als
eindrucksvolle Berggestalten. Aber der Weg dahin würde über den
zerklüfteten Gletscher sicher einige Tage dauern.
Nach dem Aufbau unseres Unikums traben wir wieder zum Basislager,
um uns mit Kompott verköstigen zu lassen. Manuela und Jürgen sind
übrigens immer noch da, der Hubschrauber heute morgen war wieder
von der Sorte "Vielleicht".
Am Abend werden mit Hilfe von Säge (von Sergej), Taschenmesser und
Faustkeil einige Konservendosen zu Windschutz für die Kocher
umfunktioniert. Marcel und Jeanne-Marie "verhandeln"
mit Sergej über Ausrüstung wie Funk und Lebensmittel für die
Hochlager. Als Nachwirkung des Verhandlungs-Wodkas hält Marcel
später bei unserer Lagebesprechung intensiv die Zeltstange gerade.
Samstag, 5. August
Basislager - Moränenlager
Am Morgen kommt dann doch noch der Hubschrauber, um unsere Kranken
nach unten zu befördern. Wir gehen zum drittenmal zum Moränenlager
und wollen diesmal auch dort bleiben. Bei unserer Ankunft ist es
sonnig und sehr warm, so richtig schön gemütlich. Aber das Wetter
hier scheint extrem instabil zu sein: am Nachmittag rollt von
Westen her rasend schnell eine schwarze Wolkenfront heran, und
dann schneit und stürmt es zwei Stunden infernalisch, um dann
wieder friedlich und sonnig zu werden.
Sonntag, 6. August
Moränenlager - Lager 1 - Moränenlager
Heute fängt die Arbeit richtig an: erster Gepäcktransport ins
Hochlager 1. Schwer bepackt ziehen wir kurz vor sechs Uhr bei wie
immer leicht seltsamem Wetter los. Der Semenovski-Gletscher, der
den Zugang zum Khan Tengri vermittelt, erweist sich als
spaltenreich, aber erstaunlich gut gangbar. Die restlichen Berge
in der Kette sind schroffer und nur unter großen Schwierigkeiten
zu erreichen, denn die Täler dazwischen sind von wilden
Gletscherbrüchen gesperrt. Durch unseren Gletscherbruch führt die
Spur ohne große technische Probleme. Dafür kommen jetzt langsam
die Höhenprobleme; auf 5000 m stellen sich die ersten
Kopfschmerzen ein, und so deponieren wir unser Zelt und das
Material bei den Ludwigshafenern auf 5200 m, anstatt bis 5400 m
weiterzugehen3. Die können das Zelt
auch ganz gut brauchen, weil sie sich nicht ganz koordiniert haben
und für sechs Leute nur zwei Zelte dastehen.
Bei unserer Rückkehr im Moränenlager werden wir gleich wieder von
den Russen mit Tee und Keksen versorgt. Für morgen planen wir die
Besteigung des 5200 m hohen Pik Majlina gegenüber, denn zum
Übernachten auf Lager 1 dürfte es noch ein bißchen früh sein. Das
abendliche Wetter-Inferno kommt heute erst um halb acht, scheint
aber ansonsten zur Tagesordnung zu gehören.
3Später stellt sich heraus, dass alle Höhen
um 200 m zu niedrig angesetzt waren und wir bereits am eigentlich
vorgesehenen Lagerplatz auf 5400 m waren.
Montag, 7. August
Moränenlager
Daß das Wetter sich an irgendeine Ordnung hält, war natürlich ein
Trugschluß. Die ganze Nacht und den Morgen schneit es, aus unserem
Ausflug wird nichts - Ruhetag. Von den Ludwigshafenern hören wir,
dass es im ersten Hochlager 30 cm Neuschnee gegeben hat. Ob es
hier überhaupt mal so lange gutes Wetter gibt, dass man bis auf
den Gipfel kommt?
Wir verbringen den Tag mit Schlafen, Essen, Herumsitzen und das
mehr oder weniger schlechte Wetter an uns vorbeiziehen lassen. Der
Nachmittag ist teilweise sonnig und sehr warm, dauert aber leider
nur bis vier. Dann kommt es wieder kohlrabenschwarz aus Westen,
und den Rest kann man sich jetzt ja schon denken.
Dienstag, 8. August
Moränenlager (kurzer Ausflug ins Basislager)
Die ganze Nacht durch hat es geschneit. Morgens wird es aber recht
schnell sonnig. Heute können wir nicht einfach faul herumliegen
wie gestern: Benzin und Lebensmittel gehen hier im Moränenlager
langsam zur Neige. So können wir entweder ins Lager 1 aufsteigen
oder bis ins Basislager absteigen, um dort Vorräte nachzufassen.
Der Aufstieg verbietet sich in Anbetracht der erheblichen
Neuschneemengen, die abrufbereit über unserer Route hängen, von
selbst.
Nach anderthalb Stunden Hinabwandern lassen wir also Nellys
Kompott und Mittagessen auf uns wirken. Manuela und Jürgen sind
gerade dabei, ins Moränenlager loszugehen, um dort Material zu
deponieren. Sie scheinen sich in Maida Adir gut erholt zu haben.

Pik Tschapajev, allerdings von ganz unten aus gesehen.
Abends sind wir kurz vor dem üblichen Schneefall wieder im
Moränenlager, aber heute schneit es wieder nur zwei Stündchen,
danach gibt's noch einen netten Sonnenuntergang.

Kurz nach Durchzug einer Schlechtwetterfront.
Die zwei Holländer, die mit uns zusammen bis Maida Adir angereist
waren, sind jetzt auch im Moränenlager. Sie wollten eigentlich den
Weg von Maida Adir bis ins Basislager zu Fuß zurücklegen, sind
aber nur eine Tagesetappe weit gekommen, bis ihre Verdauung an
überalterter Militärnahrung aus Holland gescheitert ist. Sie haben
darauf auch den Hubschrauber genommen.
Von den Ludwigshafenern haben heute vier den Gipfel versucht. Zwei
sind auf 6300 m aus Zeitgründen umgedreht; die anderen beiden sind
um neun Uhr abends noch nicht zurück.
Mittwoch, 9. August
Moränenlager - Lager 1 - Lager 1 1/2

Im Aufstieg zum ersten Hochlager am Khan Tengri.
Im Hintergrund Inylchek-Gletscher und Pik der Militärtopographen (6860 m), über den die chinesische Grenze verläuft.
Man glaubt es nicht - es ist wolkenlos. Dafür beim Losgehen um
fünf Uhr kräftig frisch (-10°C). Um sechs taucht die Sonne
die Berge ins erste Licht; schön, bei Aussicht ins Lager 1
hochzusteigen, aber auch ein zweideutiges Vergnügen, denn mit der
Sonnenstrahlung steigt die Lawinengefahr schnell an, und unsere
Route ist in dieser Hinsicht sowieso prekär. Einige Hin- und
Hersicherungsaktionen (wir rauf, die Holländer runter, zwei Russen
rauf) an der wirklichen "Mutter aller Spalten" kosten
war Zeit, aber diese Spaltenüberquerung bietet die
adrenalinträchtigsten Tiefblicke, die mir je begegnet sind.
(Leider paßt die Spalte nicht aufs Foto, wenn man dransteht.)
Kurz vor Lager 1 treffen wir einige der Ludwigshafener im Abstieg.
Die zwei gestern waren abends um elf vom Gipfel zurückgekommen und
insgesamt 16 Stunden unterwegs gewesen. Diesmal genau 5 Stunden
bis zum ersten Hochlager auf 5400 m. Von den anderen vier ist kaum
mehr was zu sehen; wir müssen hier unser vor drei Tagen
deponiertes Material (einschließlich Zelt) zu dem Zeugs, was wir
heute dabeihaben, dazubuckeln. Genauer: Schlafsack,
Isomatte, Kocher, 2 1/2 Liter Benzinvorrat, Zelt,
Sicherungsmaterial, Ersatzwäsche, warme Kleidung, dicke Handschuhe
und noch die Kleinigkeit von Essen für etwa 6 Tage.
So mühen wir uns die restlichen 230 m wie die Kulis hinauf. Zum
Glück erlöst mich Marcel kurz vor dem Lager 1 1/2 von den
Rucksackqualen, wobei er beim Rucksack Übernehmen aber auch schon
fast zu Boden geht. Lager 1 1/2 liegt auf 5600 m in einer
Mulde4. Leider ist es hier nicht mehr so gemütlich wie weiter
unten. Ein starker Ostwind - immerhin, das könnte gutes Wetter
bedeuten - macht das Graben der "Zeltplätze" und
Aufstellen der Zelte zum Festhalte-Spielchen. Nach zwei Stunden
ist das aber geschafft. Im Zelt ist es dann gemütlich warm. Da es
heute ein ganzes Stück Arbeit war, machen wir morgen nur eine
Erkundung zu den Schneehöhlen. Am Tag darauf siedeln wir dann
(hoffentlich) dorthin um, und dann kommen über tausend Höhenmeter
Grat bis zum Gipfel, denn die höheren Lager auf dem Grat kann man
des Windes wegen nicht beziehen. (Später sehen wir, dass
das auch nicht nötig ist.) Diese ganze Planung gilt - wie immer -
ohne Gewähr und vorbehaltlich des tatsächlichen Wetters.
4Im Text sind überall bereits die korrigierten Höhen angegeben.
Donnerstag, 10. August
Lager 1 1/2 - Schneehöhlen und zurück
In der Nacht hat es sich zugezogen und zu schneien begonnen. Dank
der genialen Entscheidung von IMC, das normale VauDe-Zelt zur
Verfügung zu stellen und nicht die Expeditionsausführung, schneit
es zwischen Außen- und Innenzelt herein. Man kann sich denken, wie
die im Apsis deponierten Sachen aussehen.
Unerwarteterweise beruhigt sich das Wetter gegen zehn Uhr, als die
Sonne unser Lager erreicht. In einer Stunde bringen wir die
Fressalienvorräte zu den Schneehöhlen auf 5790 m. Da fängt das
Problem aber erst an: Wir haben unsere Schaufel in Lager
1 1/2 gelassen, und hier oben gibt es keine freien
Höhlen. Marcel handelt mit einem französischen Bergführerkollegen
aus, dass wir ihre Schaufeln haben können, sobald sie fertig sind,
so in einer Stunde. Marcel geht inzwischen mit Jeanne-Marie auf
Erkundung am Grat, und wir harren in wieder schlechter werdendem
Wetter aus, wann die Franzosen ihr Prunkbauwerk wohl vollendet
haben mögen. Als wir nach 2 Stunden von einem ankommenden Russen
sofort eine Schaufel geliehen bekommen, kriegen wir plötzlich auch
welche von den Franzosen. So bauen wir anderthalb Stunden im
Akkord unser Schneeloch, bis Marcel und JeanneMarie wiederkommen.
Plötzlich will der Franzose ziemlich dringend alle Schaufeln
wiederhaben. Wir sehen sie dann mutterseelenallein vor ihrer Höhle
stecken. Soweit zum französischen Sinn für Kooperation, wie es
scheint.
Unsere Grabung ist damit vorerst beendet, und wir steigen durch
einen barbarischen Schneesturm zu Lager 1 1/2 ab, das
wir erstaunlicherweise auf Anhieb finden. Der Schneesturm steigert
sich abends zu einem noch barbarischeren Gewitter.
Freitag, 11. August
Lager 1 1/2 - Schneehöhlen
Die ganze Nacht hat der Sturm Unmengen von Schnee auf unser Zelt
und zwischen Innen- und Außenzelt gedrückt. Erstens wird dadurch
das Zelt immer kleiner, und zweitens kann die verbrauchte Atemluft
dann nicht nach unten abfließen - man muss also von Zeit zu Zeit
entlüften. Diesem Vergnügen noch weit überlegen ist es natürlich,
wenn man mal aufs "Örtchen" muss. Das passiert leider
öfters (Durchfall). Erstaunlicherweise ist das alles morgens um
acht vorbei. Die Sonne lacht, es ist fast windstill. Die
Windstille hält allerdings nicht lange, dafür macht die Hitze beim
Aufstieg zu den Schneehöhlen sehr zu schaffen. Dort geht das
Ausleihen einer Schaufel heute besser vonstatten, und wir haben
diesmal unsere eigene auch dabei. Das Zwei-Personen-Heim ist im
Lauf des Nachmittags fertig, für Marcel und Jeanne-Marie und
Hermann und Rainer finden sich bereits vorhandene Wohnstätten.
Das Ergebnis von Marcels gestriger Erkundung ist übrigens, dass
die Fixseile sehr schlecht und mit Knoten (hinderlich beim
Prusiken und Abseilen) versehen sind und der Grat sehr steil und
stark verschneit ist.
Samstag, 12. August
Schneehöhlen - Pik Tschapajev Nord - Schneehöhlen -
Moränenlager
Gar so gemütlich war es in unserer Höhle nicht. Der Kocher ist
mittlerweile der Meinung, für einen Liter Heißwasser aus Schnee
eine volle Stunde brauchen zu müssen anstatt der üblichen
Viertelstunde. Heute um acht Uhr bei wolkenlosem Wetter Abmarsch
zu einer Akklimatisationstour auf den Pik Tschapaev. Gemäß Sergejs
Order nur bis zum nördlichen Vorgipfel (6095 m), denn der
Hauptgipfel besteht aus den netten Riesenwächten, die über dem
Zugang zu Lager 1 thronen. Aber auch diese 300 Höhenmeter sind
anstrengend genug, und die Aussicht ist recht schön. Besonders
eindrucksvoll natürlich die riesige, finstere Westwand des Khan
Tengri, die bis gegen Mittag keine Sonne bekommt.
Da sich mein Durchfall immer noch nicht gebessert hat und ein
hartnäckiger Husten sich dazugesellt hat, wirkt auf mich die
Aussicht auf 16-20 Stunden Kletterei in verschneitem Fels nicht
sehr verlockend; mit geschwächter Kondition ist das Risiko von
Konzentrationsmängeln bei so einer Aktion zu groß. Ganz abgesehen
davon, dass es hier praktisch nie einen ganzen Tag Schönwetter
gibt, man muss also morgens auf Verdacht losgehen und klettert mit
ziemlicher Sicherheit irgendwann in Sturm und Schneetreiben. So
räumen wir den Inhalt unserer Schneehöhle zusammen und steigen ins
Moränenlager ab. Auf dem Weg dorthin treffen wir in Lager 1
Manuela und Jürgen, die gerade zu den Schneehöhlen aufsteigen
wollen. Beim Abstieg kommen wir mitten ins nachmittägliche
Sauwetter hinein. Mal sehen, ob die vier morgen für den Khan
Tengri gutes Wetter haben.
Sonntag, 13. August
Moränenlager - Basislager
Tatsächlich ist es heute schon wieder fast wolkenlos. Wir gehen
runter bis ins Basislager und erholen uns dort ausführlich. Der
Husten ist praktisch augenblicklich verschwunden. Mittags hören
wir über Funk von Jeanne-Marie, dass sie wegen Erkältung im Lager
geblieben ist, die anderen drei heute morgen zum Gipfel
aufgebrochen sind.
Montag, 14. August
Basislager - Moränenlager
Heute morgen um acht sind wir Nellys einzige Frühstücksgäste und
werden daher gut vollgestopft mit Grießbrei und Borsok. Das
morgendliche "Telefonat" mit Jeanne-Marie ergibt: Alle
drei waren auf dem Gipfel; Marcel war um halb acht, Rainer um halb
zehn und Hermann nach Mitternacht zurück. Sie dürften gegen fünf
Uhr morgens losgegangen sein. Die vier steigen heute ab, während
Manuela und Jürgen morgen den Gipfel versuchen wollen.
Beim mittäglichen Funkkontakt ist auch Marcel am Apparat. Wie sich
herausstellt, gibt es die ersten 200 Höhenmeter einen regelrechten
Weg, und dann beginnen Fixseile, die ununterbrochen bis zum Gipfel
reichen. (Das haben die Ludwigshafener natürlich nicht gesagt, und
Marcel hatte es vor vier Tagen wegen des Schlechtwetters nicht
gesehen.) Das erklärt, wieso von diesem Felsberg noch in
stockdunkler Nacht Gestalten heil herunterkommen, man kann den Weg
einfach nicht verfehlen.
Wenn die Risiken nun doch so relativ gering sind, versuchen wir
natürlich nochmal einen Anlauf. Der Zeitpunkt ist insofern
günstig, also Marcel uns einen Kocher in den Schneehöhlen lassen
kann; insofern ungünstig, als seit Freitag schon schönes Wetter
ist, und das ist sehr verdächtig.
Am Nachmittag marschieren wir ins Moränenlager, wo wir Marcel und
Jeanne-Marie treffen. Da sie gleich weiter absteigen, haben wir
die Wahl der Behausung und entscheiden uns für ihr Zelt und gegen
unser UFO (Zelt konnt man die Konstruktion schließlich
nicht ernsthaft nennen). Da kann man sich richtig ausstrecken und sogar
noch den Rucksack mit ins Zelt nehmen!
Dienstag, 15. August
Moränenlager - Schneehöhlen
Schon wieder ein wolkenloser Morgen. Der Aufstieg entlang dem
Semenovski-Gletscher geht wieder ein bißchen schneller, die große
Spalte hat sich wieder ein bißchen weiter geöffnet (aber jetzt
hängt dort ein Fixseil). Bis zu den Schneehöhlen brauchen wir
nicht ganz acht Stunden. Trotz wenig Gepäck schlauchen die 1400
Höhenmeter ganz schön.
Manuela ist auch da; sie musste den Gipfelaufstieg wegen ihrer
Erkältung aufgeben, und die zwei Holländer (Matthieu und Kees)
wollen es wie wir morgen versuchen. Der Kocher, den uns Marcel
zurückgelassen hat, funktioniert leider nicht - die Zuleitung
scheint verstopft zu sein. Bei Marcel hatte er noch funktioniert,
wenn auch rußend. Er sah nach dem Kochen immer aus wie ein
Schornsteinfeger. So teilen wir uns einen Kocher mit Manuela. Am
Nachmittag kommt Jürgen zurück, er hat etwa 200 m unterhalb des
Gipfels wegen des Sturms umgedreht. Den ganzen Tag über hatte der
Khan Tengri eine krallenförmige Wolke über sich, die ja meist
nichts Gutes bedeutet.
Mittwoch, 16. August
Versuch am Khan Tengri bis 6230 m
Beim ersten Herausschauen um dreiviertel vier sieht
das Wetter so lala aus. Als wir um dreiviertel sechs
abmarschieren, scheinen die blauen Flecken im Himmel die Oberhand
gewonnen zu haben. Zuerst geht es wieder das kleine Fixseil zum
Westsattel hoch, dann folgt eine gut sichtbare Wegspur dem flachen
Grat in Schnee und freigeblasenem Geröll. Ein Fixseil hilft über
eine Steilstufe (II), und nach einem kurzen Wegstück beginnen die
ununterbrochenen Fixseile. Das Gelände ist leicht, aber steil;
zwischen den Felsen gibt es immer Schneepassagen, so dass es ohne
die Seile manchmal recht heikel wäre.
Auf 6230 m sieht das Wetter etwas komisch aus, der Gipfel ist
mittlerweile meist in Wolken. So beschließen wir lieber umzukehren
- was hat man denn davon, auf dem Gipfel im Sauwetter zu stehen.
Nach 60 Metern Abstieg kommt die Sonne wieder raus. Wieder hoch -
aber ich bin zu langsam, um bei Helligkeit zum Gipfel und wieder
zurück zu kommen. Ich steige also ab zu den Schneehöhlen, Claudia
versucht weiterzukommen. Drei Stunden nach meiner Ankunft im Lager
ist sie jedoch auch da: es schneit jetzt überall, fast keine
Sicht, und weiter oben ist es sehr windig, so dass sie auf 6550 m
auch umgedreht hat. Auch die Franzosen, die unterwegs waren,
kommen jetzt zurückgetröpfelt, nachdem es sie weiter oben fast
umgeblasen hat.
Nun wartet wieder das übliche Problem auf uns: Auch der von
Manuela zurückgelassene Kocher funktioniert nicht allzu gut. In
einer zweistündigen permanenten Reparaturaktion gelingt es Claudia
zwar, ihm am Ende einen Liter halbwegs warmes Wasser abzuringen,
aber ohne den Liter Heißwasser von Kees und Matthieu\footnote{Auch
sie brauchen 50 Minuten dafür, aber ihr Kocher läuft wenigstens
reproduzierbar.}. wären wir sehr ins Schleudern geraten. Wir sind
schließlich auf fast 6000 Metern, und da sollte man ja eigentlich
einige Liter pro Tag trinken.
Der Schneefall, der am Spätnachmittag eingesetzt hat, hört bis zum
Abend nicht auf. Keine guten Aussichten für einen weiteren
Gipfelversuch morgen.
Donnerstag, 17. August
Schneehöhlen - Basislager
Frühmorgens ist das Wetter "weder gut noch schlecht",
wie uns einer der Holländer von draußen meldet. Wir bleiben also
in der Schneehöhle im Schlafsack - der Neuschnee im Höhleneingang
lässt nicht auf einen neuen Versuch zum Gipfel hoffen. Um es
morgen nochmal zu versuchen, hätten wir nicht mehr genug zu Essen,
und wer sagt denn, dass es morgen gut ist?
Also steigen wir so schnell wie möglich ab. Bis zum Lager 1 ist
das eine ganz nette Orientierungsübung, weil von der Spur nichts
mehr zu sehen ist und alles weiß in weiß aussieht. Die große
Spalte ist wieder breiter geworden, und das Fixseil ist wieder
weg. Man muss nun einen Meter am Rand hineinsteigen, einen Spagat
unter Zuhilfenahme eines Zwischentrittes machen und sich an der
anderen Seite heraufhieven. Der restliche Weg hinunter ist zwar
von immer größer werdenden tiefen Löchern gepflastert, sonst aber
ohne größere Hindernisse. Die Rutschpartie auf dem verschneiten
Blankeis verläuft besser als das letzte Mal, in 2:40 Stunden sind
wir die 1400 Höhenmeter herunter.
Im Moränenlager angekommen, räumen wir Marcels Zelt auf und packen
alles in, auf oder an den Rucksack. Dafür müssen wir nicht zweimal
laufen. Hier unten ist das Wetter etwas besser, es ist trocken.
Mit einem kurzen Umweg auf der Suche nach dem Moränenweg sind wir
nachmittags um halb vier im Basislager. Dort werden wir von Nelly
erst mal gut und ausführlich verköstigt.
Gerade als wir alle Klamotten zum Trocknen ausgelegt haben,
beginnt es zu regnen. Bis jetzt hatte es immer nur geschneit.
Jetzt sehen wir endlich auch den ominösen Herrn Kommissarov.
Bislang war er entweder kurz vor uns dagewesen (Karakol), oder er
wurde erwartet, um Probleme zu lösen. Ohne Kommissarov läuft
nichts. (Vladimir Kommissarov ist der Chef des
Trekkingunternehmens IMTC, das auch das Basislager am
Inylchek-Gletscher unterhält.) Auch Igor tritt uns leibhaftig in
Erscheinung: Das ist der Lagerarzt, der auch schon Manuela und
Jürgen medikamentiert hat. Er sieht so aus, als wäre er eher für
Wasserrohrbrüche zuständig. Das ist auch gar nicht so falsch: Er
ist sozusagen das Mädchen für alles, denn er hat eine Ausbildung
ähnlich dem Technischen Hilfswerk und damit auch entsprechende
Medizinkenntnisse.
Abends in der Bar Besprechung über die weitere Planung: Als
Alternative zum weiteren Hierbleiben gibt es einen Ausflug in ein
hübsches Tal bei Karakol, Baden im Issyk-Kul-See und ähnliches,
allerdings gegen Aufpreis. Die anderen haben vom Khan Tengri genug
von Eis und Schnee und wollen was anderes sehen, das Land
kennenlernen. Wir (Claudia und Hartmut) möchten lieber im
Basislager bleiben, denn das Hochtal wird vermutlich aussehen wie
in den Alpen (und da wäre man besser am Anfang zur Akklimatisation
hingegangen), und hier kann man abgesehen vom Pik Pobeda noch
einige nette Berge machen. Und Badeurlaub ist für uns bei weitem
nicht so reizvoll wie die imposante Bergwelt im Tien Shan.
Freitag, 18. August
Basislager

Pik Pobeda vom Lager aus gesehen. Diese Aussicht hat man, wenn man auf dem
Donnerbalken sitzt.
Überraschung: Morgens 10 cm Schnee im Basislager. Der taut zwar im
Lauf des Vormittags wieder weg, aber die mittägliche Aufhellung
ist der einzige Lichtblick.
Die Planung sieht jetzt so aus: Marcel und Jeanne-Marie hatten
sowieso nur Khan Tengri gebucht und müssen am 24. zurückfliegen.
Die anderen vier fliegen mit ihnen zusammen übermorgen aus dem
Lager, machen zwei Tage Badeurlaub am Issyk-Kul und verbringen
dann einige Tage im Hochtal Dzhety-Oguz bei Karakol. Wir bleiben
noch ein bißchen im Basislager Inylchek und fliegen am 25. heraus,
um die anderen in Karakol zu treffen. Dann fährt man gemeinsam
nach Bishkek, geht dort noch einige Tage ist Gebirge Ala-Artscha
und am Ende nach Almaty.
Das Problem im Basislager ist, dass das Lager um den 25. herum
geschlossen werden soll. Wir sind sowieso die letzten Gäste. Mit
der Gruppenstärke von nur 6 Leuten, von denen zwei (Manuela und
Jürgen) ehrlich zugeben, dass Höhenbergsteigen sie nicht
sonderlich interessiert, ist der Pik Pobeda sowieso unmöglich -
abgesehen davon, dass das Wetter offensichtlich nicht mitspielt.
Am Pobeda waren anscheinend dieses Jahr nur zwei oder drei Gruppen
unterwegs.
Mal sehen, was man hier an kleineren Bergen noch anstellen kann.
Abends ist die Sauna in Betrieb: endlich wieder sauber. In der Bar
wird wieder - wie gestern - der Vorrat an chinesischem Bier
dezimiert, denn das ist billiger und besser (zumindest schmeckt es
recht interessant) als das deutsche.
Samstag, 19. August
Basislager
Morgens sieht das Wetter ganz passabel aus, aber es ist recht
kühl. Der Vormittags-Schneeschauer lässt auch nicht allzu lange
auf sich warten. Mittags ist es wieder ziemlich sonnig. Man sieht
auch den Pik Pobeda, aber mit seltsamen Dunstwolken im Tal.
Das Wetter wiederholt sich um fünf Uhr nochmal, und als wir abends
aus der Bar kommen, ist es wolkenlos. Unverbesserliche Optimisten
können daraus erwarten, dass es mindestens einen halben Tag
Schönwetter gibt.

Schlechtwetter im Basislager.
Sonntag, 20. August
Basislager - Versuch am Pik Trehglavnyj - Basislager

Der Pik Maxim Gorki (6050 m) thront direkt über dem Basislager
Süd-Inylchek.
Eigentlich wollten wir eine Stunde früher aufstehen, aber der
Wecker war zu leise. So gehen wir erst kurz nach fünf Uhr los zu
einer Tagestour auf den "Triglav" Pik Trekhglavnyj,
den Dreigipfligen (5504 m). Das Wetter ist tatsächlich wolkenlos,
und man sieht einen schönen Sonnenaufgang. Nach einer Stunde ist
der Gletscher überquert, es geht steil bergauf über eine meist
mäßige Schneeauflage auf dem Blankeis. Trotzdem sind die
Spaltenzonen überraschend phantasievoll. Der ganze Hang ist
wesentlich steiler als er von Ferne ausgesehen hatte. Steilhänge,
Blankeis, Seracs umgehen, plötzlich mitten im Hang eine Spalte
groß wie ein mittleres Parkhaus, und nur von ein bißchen Eis (kein
Schnee!) überdeckt. Die Eisschrauben erweisen sich als nützlich,
man hangelt sich am Rand der Spalte aufwärts. Da hat man
wenigstens für die linke Hand immer gute Griffe, wenn man schon
nur ein Eisgerät hat.
Weiter oben wird es noch steiler, so dass wir nochmals sichern
müssen. Da zeigt sich wieder, dass die weichen Expeditionsschuhe
für Steileis ziemlich ungeeignet sind: Claudia fällt just beim
Vorbereiten eines Standplatzes aus der Wand. Da unsere 27 m-Leine
voll ausgegeben ist, gereicht das jedem Bungee-Sprung zur Ehre.
Sie rutscht an mir vorbei und landet eine entsprechende Strecke
weiter unten. Da die Sicherung natürlich anständig ist (russische
Eisschrauben sind auch nicht schlechter als andere) und der Hang
gleichmäßig, holt sie sich dabei keine Blessuren. Wir probieren
das Hochkommen etwas später an einer anderen Stelle nochmal, aber
auch dort wird es über mehrere Seillängen blank und sehr steil.
Das muss ja dann nicht sein, außerdem wären wir da gerade mal auf
dem Vorgipfel, und ob der lange Grat zum Hauptgipfel bei dem
Höhensturm oben möglich ist, steht sowieso in den Sternen.
Der Abstieg ist mühsam genug: Die Sonne erreicht gerade den Hang,
da wird der Schnee schon matschig. Man weiß nie, ob man einfach in
tiefen aufgeweichten Schnee tritt, ober ob ein Loch darunter ist.
Zur Vergrößerung der Freude stollt der Schnee richtig herrlich an
den Steigeisen. Den unteren Teil müssen wir daher auf den
Frontalzacken zurücklegen; keine sehr schnelle und kräfteschonende
Abstiegstechnik, aber wenigstens sicher. Auf dem Rückweg quer über
den Gletscher erwischt uns auch die erste Schnee-/Regenwalze, die
sich schon im Westen aufgestellt hatte. Vom wolkenlosen Wetter
heute morgen keine Spur mehr. Bis zum Abend ist es trübe und nur
wenig sonnig. Das Abendessen (Kohlroulade) gibt es jetzt direkt
bei Nelly in der Küche, da ist es wärmer als im Mannschaftszelt.
Wir sind jetzt sowieso die einzigen Gäste.
Montag, 21. August
Basislager - Südufer Inylchek-Gletscher

südlicher Inylchek-Gletscher, Blick talauswärts
Das Wetter sieht ganz passabel aus; nachts hat es ein bißchen
geschneit. Ansonsten abwechselnd mehr oder weniger Schichtwolken
mit mehr oder weniger Sonne. Den Vormittag verbringen wir mit
Schlafen, Lesen und Überlegen, was man die nächsten Tage
unternehmen kann. Wenn sogar scheinbar leichte Berge wie der
Triglav sich nicht besteigen lassen, sinkt die Auswahl rapide.
Gerade als wir durchrechnen, wie es für einen weiteren Versuch am
Khan Tengri noch reicht, kommt Sergej vorbei und meint, das Wetter
würde bald sehr schlecht werden; wenn wir einen der kleinen Berge
machen wollten, sollten wir bis morgen abend zurück sein. Danach
würde es wohl Winter.
Da das die erste Wetterprognose seit drei Wochen ist, müssen wir
sie wohl oder übel ernst nehmen. Sonst wird jeden Tag nur gesagt
"morgen gut", wenn man einen der Russen nach dem
Wetter fragt. Der Khan Tengri ist damit wahrscheinlich etwas
riskant. Dann beschäftigen wir uns morgen eben mit dem Pik Pesni
Abaja (4901 m), das ist die Schutthalde mit der spektakulären
Spitze schräg gegenüber. Auch das ist angeblich eine 1 1/2-Tages-Unternehmung.

Pik Pesni Abaja (4901 m), am anderen Gletscherufer
Das Mittagessen ist sehr ausführlich, es gibt für jeden noch ein
Stück Bergziege ("Fleisch von Kommissarov"). Danach
machen wir uns mit fast voller Ausrüstung auf den Weg zum
Lagerplatz für die morgige Tour. Erst die Moräne abwärts, an einem
eine Viertelstunde entfernt gelegenen zweiten Basislager vorbei
auf den Gletscher. Hier gibt es sogar vereinzelt Blumen und einen
kleinen See, im Gegensatz zu unserem Lager. Die Querung des
Nordteils des Südlichen Inylchek-Gletschers kostet uns über eine
Stunde: Riesige vom Wasser ausgefräste Hohlbecken müssen umgangen
werden; in der Mitte fließt ein reißender, etwa drei Meter breiter
Fluß, der zum Glück von Zeit zu Zeit für zehn Meter gurgelnd in
einer Spaltenbrücke verschwindet, wo man ihn dann einigermaßen
überqueren kann. Die Größe und Heftigkeit dieser Flüsse und Täler
ist in alpengewohnten Maßstäben unvorstellbar, es ist eine Welt
für sich. Nach der Mittelmoräne kommt der südliche Teil, der vom
Inylchek-Gletscher abgedrängte Svezdochka-Gletscher. Hier sind die
Löcher eher noch größer, aber zumindest ist er nicht mehr so
breit. Wir hätten nicht gedacht, dass der Weg eine solche Odyssee
ist. Für Luftlinie 3 Kilometer sind wir jetzt 2 1/2
Stunden unterwegs, und den Dikij-Gletscher müssen wir auch noch
queren. Heute aber nicht mehr, denn von Westen kommt das
Schlechtwetter angerauscht. Wir schlagen das Zelt auf der
gletscherinneren südlichen Randmoräne (es gibt sozusagen zwei) des
Südlichen Inylchek-Gletschers auf, unter dem Pik Dikij.
Abends wie gewohnt ein längeres Drama mit dem Kocher: Auch mit
Kerosin funktioniert er nicht besser, aber er rußt besser. 1
1/2 Stunden, um einen Liter bereits flüssiges Wasser
lauwarm zu bekommen, aber nur wenn man den Kocher alle paar
Minuten wieder anzündet.
Dienstag, 22. August
Südufer Inylchek-Gletscher - Pik Pesni Abaja - Basislager
Morgens mal wieder gar keine Lust zum Aufstehen. Draußen ist es
auch eher trübe, aber es schneit (noch?) nicht. Zum Frühstück
gibt's kalten Brei (Kocher...). Unser Weg führt uns von unserem
Zeltplatz zur äußeren Seitenmoräne und über einiges
Spalten-Durcheinander an die Ecke, wo der Dikij-Gletscher
einmündet. Endlose Schutthalden auf Eis.
Auch der Dikij-Gletscher bietet einige kleinere Flüßchen und viel
Auf und Ab. Am anderen Ende beginnt ein 800 Höhenmeter langer
Schutthang. Oben wird es immer steiler; am Ende kommt ein steiles
Schneefeld, das bis unter die Gipfelwächte erstiegen wird. Von
hier fehlen noch zehn Höhenmeter bis zum eigentlichen Gipfel, aber
das wäre eine gefährliche Querung auf Naßschnee mit Eisunterlage.
Der wirkliche Gipfel besteht aus der keck drei Meter von der
anderen Seite her aufragenden Wächte und wird wohl nur von
Wahnsinnigen bestiegen.
Man braucht kaum zu erwähnen, dass sich das Wetter während des
Aufstiegs kontinuierlich verschlechtert hat, und gerade als ich
oben bin, ist die Sicht bei fast Null angelangt. Das war aber
natürlich ein Bluff, denn sobald man 100 Meter tiefer ist, reißt
es wieder auf. Claudia kommt ein bißchen später und erwischt die
(halbwegs) gute Aussicht. Ab dem Dikij-Gletscher wird es sogar
sonnig. Das Zelt wird wieder eingepackt, und jetzt kommt wieder
die mühsame Wegsuche über den Gletscher. Eine Dreiviertelstunde
für den Südteil; auf der Mittelmoräne treffen wir ein Grüppchen
Engländer, die in den letzten Wochen den Komsomolez-Gletscher
unsicher gemacht haben und die Berge drumherum (erst-)bestiegen
haben. Sie wollen auf den Khan Tengri und sind ganz erstaunt, dass
in unserem Lager schon alle den Winter erwarten. Der Weiterweg
über den Hauptteil des Gletscher s ist so mühsam wie hinzu. Man
kommt sich vor wie ein Schiff im Sturm: manchmal sieht man das
rettende Ufer, dann verliert man es wieder aus den Augen. Durch
die problematischen Passagen scheint es nur einen Weg zu geben,
denn wir kommen praktisch genau unseren Hinweg entlang. Kurz vor
dem rettenden Ufer bricht das abendliche Schlechtwetter herein.
Ein Glück, dass im unteren Lager eine kirgisische Fahne weht, die
sehen wir nämlich gerade noch.
Auf dem Weg hoch in unser Lager kommt uns die ganze Belegschaft
entgegen: man geht ins untere Lager Manas feiern mit den Kollegen.
Nelly will gleich umdrehen, als sie uns sieht, und lässt sich auch
kaum überzeugen, dass wir auch mal alleine zurechtkommen und
sowieso keinen großen Hunger haben. Aber es ist ja noch was da in
der Küche, so kommen wir gut aus mit den Resten. Abends gibt es
noch Sauna, die anderen hatten sich nämlich feingemacht fürs Fest,
so ist die Sauna noch warm. Nelly ist auch wieder zurück, weil sie
das nun unten stattfindende Besäufnis sowieso nicht interessiert.
um Ausklang leeren wir noch das in der Hütte deponierte
chinesische Bier - ein langer Tag ist endlich zuende.
Mittwoch, 23. August
Basislager - Maida Adir
Heute gibt's erst um neun Uhr Frühstück, hat Nelly gestern gesagt
- ausschlafen. Leider kommt morgens um sieben Sergej vorbei, er
habe gerade Funkkontakt, und unser Aufenthalt ende am 25.; ob es
in Ordnung wäre, wenn heute gegen zwölf der Helikopter käme?
Das ist natürlich nur eine rhetorische Frage - es stellt sich
heraus, dass heute das ganze Lager geräumt wird. Abgesehen vom
(von allen befürchteten) Wintereinbruch lohnt es sich mit zwei
Gästen ja wohl kaum noch. Entgegen den "Prognosen" ist
das Wetter immer noch gut, aber es weht ein kalter Wind.
Gepackt ist alles relativ schnell. Um elf Uhr gibt es ein
Restevernichtungs-Picknick mit Gewürzgurken, Käse, sowjetischem
Champagner und Wodka - sozusagen das Schlußtrinken. Ein Liter
Wodka für neun Personen - man kann sich die Konsequenzen bei den
Ungeübten (uns) ausdenken, wie wir über den Gletscher zum
Hubschrauber-Landeplatz gehen müssen.
Der Hubschrauber kommt pünktlich um zwölf Uhr und fliegt uns nach
Maida Adir. Wiederum prompt eine Paßkontrolle durch russische
Soldaten. Da man uns zwei in den vorliegenden Listen nicht findet,
macht man auf einer Rückseite einfach eine neue Liste auf.
Es steht offenbar nur ein Lkw zur Verfügung, und der ist gerade
unterwegs: Weitertransport ist für heute nicht zu erwarten, wir
schlagen unser Zelt auf. Die ganze BasislagerMannschaft hat hier
auch Quartier bezogen. Für Mittag- und Abendessen ist gut gesorgt,
der Tee ist sehr gut. Immerhin: Hier wächst wieder richtiges Gras
und auf den Nordhängen sogar Bäume. Das hatten wir lange nicht
mehr. Die Südhänge sind dagegen trocken und fast völlig kahl. Die
Berge erreichen knapp 4000 Meter, und die hohen Gletscherberge am
Inylchek sind weit weg und kaum zu sehen.
Donnerstag, 24. August
Warten in Maida Adir
Der Dieselgenerator des Militärlagers nebenan rattert bis spät in
die Nacht. Dafür beginnt er schon vor Sonnenaufgang wieder mit dem
nervtötenden Lärm. Zum Frühstück Buchweizen, man kann ihn mit viel
Milch und Zucker erträglicher machen. Das Mittagessen besteht aus
Borstsch, was einige (auch der Russen) nicht gerade vom Hocker
reißt. Dazu gibt es immer ein Stück von der Bergziege, an dem sich
jeder was herunterschneiden kann.
Die Mahlzeiten sind die einzige Abwechslung im Warten auf das
Auto, das für heute Mittag angekündigt war.
Das Wetter ist immer noch schön, wenn es auch hier unten in Maida
Adir im allgemeinen besser ist als im Basislager Inylchek.
Trotzdem hätte es möglicherweise noch für einen Versuch am Khan
Tengri gereicht (anstatt des Pik Abaja, bis zum 24.), wir hätten
nur Kommissarovs Wetterprognose nicht glauben müssen.
Nach der vergeblichen Funkverbindung abends um acht taucht
tatsächlich noch ein Paar Scheinwerferlichter auf. Nicht etwa,
dass die altersschwache Karre irgendwo unterwegs den Geist
aufgegeben hätte - es gab in Karakol einen halben Tag lang
"Organisationsprobleme". Das heißt, es war kein Benzin
zu bekommen.

Zahme Bergziege im "unteren" Lager Maida Adir auf 2500 m, wo man
vom Hubschrauber in Lastwagen umsteigt (falls der Lastwagen auch kommt...)
Freitag, 25. August
Maida Adir - Karakol
Um viertel nach fünf weckt man uns - mit dem Ergebnis, dass wir
nach dem Frühstück erst mal knapp eine Stunde herumstehen, bis
alles soweit fertig ist. Um viertel nach sieben kommen wir weg;
das Wetter ist eher mittelmäßig, beim Ort Inylchek regnet es
sogar. Eine halbe Stunde bis Inylchek, weitere zwei Stunden zum
Tschon-Aschu-Paß, und nochmal zwei Stunden bis Karakol. Sergej und
Kollegen werden gleich am Busbahnhof abgesetzt, damit sie nach
Bishkek weiterfahren können. Wir kommen mit dem ganzen Basislager
-Krempel wieder ins Alpinistenlager. Ein kleiner Bazar ist direkt
nebenan; es gibt zum Mittagessen ein kirgisisches Nationalgericht
bestehend aus Nudeln, Kartoffelgelee und viel scharfer Soße an
einem Imbißstand. Dazu Russian Vodka 0,2 l im
Aufreiß-Plastikbecher made in Israel.
Wir treffen hier noch zwei Holländer, die von Holland mit dem
Auto, einem R4, über Italien, Griechenland, die Türkei, Iran und
Turkmenistan hierhergekommen sind und ein mehrtägiges Trekking in
den nördlichen Randgebirgen des Tien Shan machen wollen. Danach
wollen sie über den Torugart-Paß nach Kashgar (China) und zurück.
Zum Abendessen gibt es Reis mit Fleisch (diesmal wohl keine
Bergziege?), Salat (mal was Neues) und anschließend Tee und Wodka
und/oder ein guter Johannisbeerwein (19%, Achtung Flurschäden
zusammen mit Wodka).
Samstag, 26. August
Karakol - Bishkek
Mit der Wodka-Wein-Mischung schläft man gut. Claudia hat etwas
Verdauungsschwierigkeiten, das könnten die vielen Aprikosen
gewesen sein. Zum Frühstück gibt es (wie schon lange erträumt)
Spiegelei. Wir tauschen 10 $ gegen kirgisische Som (das gibt 100
Som) und gehen auf den Bazar zum Mitbringsel einkaufen. Um halb
elf läuft der Jeep mit dem Rest der Mannschaft aus Dzhety Oguz
ein. Und schon um halb eins ist der Bus nach Bishkek fertig zur
Abfahrt. Zum Glück handelt es sich dabei um einen richtigen,
normal gefederten Kleinbus. Mit einer kurzen Badepause im
Issyk-Kul-See5 fahren wir in 7 Stunden die 400 km nach
Bishkek bei eher gemischten Straßenverhältnissen. Nach einiger
Suche finden wir auch das Büro der Firma IMTC. Hier treffen wir
Kommissarov und auch Lagerleiter Sergej wieder, es wird alles
Mögliche geboten für einen kleinen Imbiß für die verhungerten
Reisenden, natürlich nicht ohne Bier und Wodka. Unser
"Hotel"6
sieht wieder mal nach Privatpension aus, aber recht sauber und
ordentlich. Wegen der Manas-Feiern7 war es anscheinend
nicht so einfach, ein Hotel zu finden, denn wenn es auch nicht
sehr weltstädtisch aussieht, ist Bishkek trotzdem die Hauptstadt
Kirgisiens. Aber die Organisation haben wir Kommissarov
überlassen. Abends noch ein kurzer Ausflug auf ein Bier, die
Kioske sind nicht weit, und man bekommt neben Bier auch Kuchen und
kehrt ausreichend genährt ins Hotel zurück.
5Sandstrand und Blick auf Berge gegenüber,
kristallklares Wasser. Der Issyk-Kul ist 8000 km2 groß (also 15
mal so groß wie der Bodensee) und, obwohl er auf 1600 m Höhe
liegt, recht warm.
6Adresse: Dushanbinskaja 97, Bishkek
7Mangels Volksheld hat
man die Sagenfigur Manas zur nationalen Identifikation ausgegraben
und feiert dessen angeblichen 1000. Geburtstag. Feiern dürften
dabei natürlich nur die Oberschicht und die eingeladenen
ausländischen Politiker und Geschäftsleute.
Sonntag, 27. August
Bishkek - Ala-Artscha - Ak-Saj
Pünktlich um halb neun werden wir von Kommissarov abgeholt; das
Frühstück findet in der Gartenlaube des Büros statt: Brot, Käse,
Butter, Wurst und Spiegelei in größeren Mengen. Claudia trägt
schon seit einigen Tagen eine Art Magenverstimmung herum, und
Hermann hat von gestern von den Spiegeleiern noch Probleme.
Wir fahren zum Bazar, um uns noch mit Vorräten für das Gebirge
südlich von Bishkek, wo wir die nächsten Tage verbringen werden,
einzudecken. Interessant übrigens: Es gibt überhaupt keine Münzen,
sondern kleine quadratische Scheine zu 10 und 50 Tyjyn
(hundertstel Som). Die Suche nach Benzin artet zur halben
Stadtrundfahrt aus, die schließlich an den Kanistern in
Kommissarovs Garage ein Ende hat. Wegen der Manas-Feiern wurde
künstlich das Benzin verknappt, damit weniger Verkehr ist und die
hohen Herrschaften freie Bahn haben.
Nach dieser Rundfahrt geht es raus ins Ala-Artscha-Tal. Die Gegend
ist Nationalpark und wohl ein bißchen Erholungsgebiet für
wohlhabende (oder sich wichtig vorkommende) Bishkeker. Das
Straßenende liegt auf 2250 m, und von hier aus müssen wir
"gemütliche 3 Stunden" (Kommissarov) laufen. Auch wenn
man es nicht so gemütlich hält, werden vier daraus, der Zeltplatz
am Ak-Saj-Gletscher liegt auf 3400 m in den letzten Wiesen an
einer Moräne.
Die Gegend gleicht einem Heerlager von russischen Zelten und
Verschlägen, in denen Bergsteiger hausen. Es steht auch eine Hütte
hier8. Von hier sind alle interessanten Berge gut zu
erreichen, die meisten Berge bieten teils schwierige Kletterei,
auch kombinierte Routen.
Claudia wird ihre Kunststoff-Bergschuhe für 90 $ an ein Mädchen
aus Jekaterinburg los, deren sehnlichster Wunsch anscheinend
ausgerechnet diese gelben Dinger waren. Zum Abendessen Gemüsetopf,
Suppe, ein Bier (mühsam hochgeschleppt wie alles andere auch) und
Wodka. Abends wird es schnell kühl, besonders mit Wind.
8Die Vallot-Hütte ist dagegen ein Musterbeispiel an
Reinlichkeit.

Lagerplatz Ak-Saj (3300 m) im Ala-Artscha-Tal
Montag, 28. August
Ak-Saj - Pik Utschitel' - Ak-Saj
Die Russen im Zelt nebenan haben sich noch bis nachts um eins
fürchterlich viel und laut zu erzählen. Zum Glück müssen wir erst
um acht aufstehen. Wir haben uns für den einfachsten der Berge
hier entschieden, die anderen sind etwas weiter weg und auch teils
recht schwierig. Der Pik Utschitel' - der Lehrer - ist immerhin
auch 4527 m hoch. Für uns bedeutet das drei Stunden
Geröllaufstieg, der von einer netten Aussicht auf die anderen
Berge der Gruppe belohnt wird. Der Berg ist auf der Südseite
vollständig geröllig, die Nordseite ist vergletschert und sieht
nach einer netten Eiswand aus. Nachmittags sind wir wieder im
Lager. Es bewölkt sich immer mehr, aber zum Abendessen bleibt es
trocken. Nachts schneit bzw. graupelt es.

Kurz vorm Gipfel des "Lehrers"
Dienstag, 29. August
Ak-Saj - Ala-Artscha - Bishkek
Frühstück im Schneegestöber. Als das Gewitter richtig anfängt,
sind wir abmarschbereit und kämpfen uns den glitschigen Weg
herunter. Claudia hat daran besondere Freude, da sie ja nur mit
Turnschuhen unterwegs ist. Auch im Tal ist es regnerisch und
ziemlich kalt. Das Schlechtwetter scheint aber auf das Gebirge
beschränkt zu sein. Pünktlich (fast auf die Minute!) um 13 Uhr
kommt der Kleinbus, um uns abzuholen. Zuerst besuchen wir den
Bazar, um die Sachen zu besorgen, die einem so gefehlt haben:
Schokoriegel, Bier, Cola, Äpfel (1 Eimer für 5 Som). Danach werden
die Seesäcke in Kommissarovs Geschäftshaus wieder abgeholt und ein
Hotel am Ende der Welt angesteuert, das aber anscheinend mehr oder
weniger westlichen Standard bietet: Die Zimmer sind sauber, es
gibt Schränke und sogar einen Kühlschrank (der leer und nicht
eingesteckt ist) und einen Fernseher (ohne Antennenanschluß); im
Bad sind die Fliesen gerade und rechtwinklig verlegt, es gibt
Seife und Toilettenpapier, und aus dem Wasserhahn kommt kaltes
("blau") und kaltes ("rot") Wasser. Die
Umgebung ist weniger reizvoll: eine im Entstehen begriffene
Satellitenstadt, die bis auf Kleinigkeiten genausogut aus der
Sowjetzeit stammen kann.
Das Abendessen ist gut, für die besonders Gefräßigen gibt es sogar
Nachschlag. Auch die Frühstücksbestellung funktioniert mit ein
bißchen Russisch ganz gut, außer dass für jaitso erst ein Muster aus
der Küche geholt werden musste (jaitso heißt Ei). Mit
dem Bier ist es ein kleines bißchen schwieriger: Dafür ist die Bar
zuständig, der Barkeeper hat aber nur Muster in seiner
"Bar" und verschwindet fünf Minuten, bis er mit
unserem Bier wiederkommt. Dann wird der Umsatz fein säuberlich in
ein Heft eingetragen, und wenn wir nicht das Eßbesteck mißbraucht
hätten, würden wir heute noch auf den versprochenen Flaschenöffner
warten. Als der Barmensch später nicht mehr auffindbar ist und wir
unsere Bedienung direkt fragen, geht das viel besser und mit
geöffneten Flaschen.
Mittwoch, 30. August
Bishkek - Almaty
Das Frühstück ist ausgezeichnet, fast wie zuhause. Sogar für
Rainer ist genug da, denn es wird immer wieder nachgeliefert. Es
gibt auch Kaffee, wenn's auch amerikanischer Pulverkaffee mit
Milch und Zucker ist.
Morgens kommt Kommissarov vorbei, um uns zu verabschieden (und von
Manuela noch das Geld für den Ausflug nach Ala-Artscha
einzutreiben). Er meint übrigens, dass das Wetter im Tien Shan
dieses Jahr eher seltsam gewesen sei mit vielen Gewittern in der
Zeit, in der normalerweise Sommer sei (5.-20. August).
Die Busfahrt nach Almaty verspätet sich, weil zwar die Straße
nach Almaty frei ist, die von Tashkent nach Bishkek wegen der
Manas-Feierlichkeiten gesperrt ist (Die Regierung fährt da wohl
gerade lang) - und unser Busfahrer wohnt an dieser Straße. Aber
bald ist Ersatz gefunden, und um vier Uhr sind wir in Almaty;
zuerst wird der Bazar besucht. Für 10 $ bekommen wir 608 Tenge,
fast ausschließlich in Zehnern - ein Riesenhaufen. Man kauft Eis,
Salat, Schokoriegel, Bier und Mohnbrötchen. Damit geht nicht
allzuviel Geld weg. Das Hotel Dzetysu (sieben Flüsse) ist wieder
ganz ordentlich, der Fliesenleger muss im Bad allerdings ziemlich
im Delirium gewesen sein. Wie üblich in den Hotels in der GUS.
Abendessen gibt es in einem Restaurant in der Nähe des Hotels, mit
Geschwindigkeitsrekord: in 20 Minuten sind wir fertig, weil Suppe,
Salat und Hauptgericht gleichzeitig kommen. Davon müssen wir uns
in der Fußgängerzone erholen. Die Geschäfte sind leider
geschlossen, weil heute Feiertag wegen der neuen Verfassung ist.
Am Kiosk bekommt man Sekt (leider nur West-Importe) und Wodka. Den
dreiviertel Liter des Letzteren schaffen wir zu viert ohne
Probleme, man ist ja in Übung.

Markthalle in Almaty
Donnerstag, 31. August
Almaty - Frankfurt
Heute heißt es früh aufstehen, unser Flug geht kurz vor neun Uhr.
Manuelas Weck-Klopfen um viertel vor sechs wird von Rainer nicht
weiter beachtet; um sechs liegen sie noch in den Federn (er habe
es gehört, aber gedacht, es sei nicht weiter wichtig).
Offensichtlich hat er gestern die falsche Uhrzeit auf kasachisch
umgestellt. Um 6.44 geht der Wecker übrigens doch noch los.
Fahrt zum Flughafen mit dem Kleinbus der Partneragentur von
Kommissarov; um viertel nach sieben sind wir durch alle
Formalitäten einschließlich Hermanns Zollerklärung (seit
ihm die Zahnpastatube im Rucksack aufgegangen ist, lässt das Pech
ihn nicht los...); einer der Grenzbeamten hat bei Hermanns Pass
gemerkt, dass unser Visum eigentlich gestern abgelaufen ist (was
uns gar nicht aufgefallen war), aber das macht wohl nix. Für
eventuelles Übergepäck interessiert sich anscheinend auch niemand.
Im Flugzeug gibt es dann endlich wieder was zu essen, und Rainer
guckt so verhungert, dass er ein zweites Frühstückstablett
dazubekommt. Wir kommen über eine Stunde zu früh in Frankfurt an,
und Zoll und Gepäck holen sind in einer halben Stunde erledigt.
P.S.:
Wir haben diese Reise mit einem uns vorher nicht genauer bekannten
Reiseveranstalter angetreten, der sich als "größter
Expeditionsveranstalter Deutschlands" angepriesen hat. Das
mag für das gedruckte Programm insbesondere im
Achttausender-Bereich durchaus stimmen. Über die genaueren
Umstände der Reise können Sie genügend Informationen entnehmen,
wenn Sie den obigen Text aufmerksam lesen. Sollte dieser
Reiseveranstalter auch nach Mai 1997 noch existieren, raten wir
dringend (!!) ab. Unsere negativen Kritikpunkte füllen Seiten,
deshalb führen wir hier nicht alles im Einzelnen aus. Sollten Sie
Fragen dazu haben, zögern Sie nicht, sich einfach an uns zu
wenden.
ANHANG: Routenbeschreibung Khan Tengri von Süden
Vom Basislager Inylchek-Süd (4200 m) erreicht man in ca. 2 Stunden das
Moränenlager (4400 m) auf der nördlichen Seitenmoräne kurz vor der
Einmündung des Semenovski-Gletschers. Von hier den Gletscher
aufwärts (viele Spalten, aber Spur recht sicher).
Ab 4900 m Eisschlag- und Lawinengefahr von rechts und vorne. Der Gletscher
biegt nach rechts ab und wird zerrissen. Lawinengefahr von links
(Gipfelwächten des Pik Tschapaev).
Am Ende des Eisbruchs große
Spalte, Seilsicherung notwendig! Kurz danach Platz für Lager 1
(5400 m), 3-5 Stunden.
Von dort ohne Schwierigkeiten in 2-3 h über
leicht geneigte Hänge zu Lager 2 am Westsattel (5800 m),
Schneehöhlen und Platz für 2-3 Zelte (links). Bei guter
Akklimatisation kann man Lager 1 auslassen.
Vom Westsattel
(Fixseil von Lager 2) folgt man einem Schnee-, teils Geröllgrat
mit Wegspuren. Ein Fixseil überwindet eine Steilstufe, dann wieder
Weg. Kurz darauf beginnen die Fixseile, die ohne Unterbrechung bis
zum Gipfel führen; meist Fels II.
Die Lagerplätze bei 6300 und
6400 m sind sehr klein und des häufigen Sturms wegen nicht
anzuraten. Von Lager 2 bis zum Gipfel benötigt man etwa 10 h, der
Abstieg ist je nach Technik wesentlich schneller möglich. Durch
die Fixseile ist der Abstieg auch bei Schlechtwetter oder
Dunkelheit möglich; am Westsattel auf den richtigen Weg zum Lager
achten (liegt weit hinten).
Material: Steigklemme, 2
Prusikschlingen, Steigeisen, Eispickel, Karabiner zur
Selbstsicherung.
Anmerkung (Stand 1998): Die Route vom nördlichen
Inylchek-Gletscher ist zwar etwas länger, gilt aber allgemein als
objektiv sicherer. Nach unserer erfolgreichen Besteigung von
Norden aus unterstützen wir diese Auffassung.
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Letzte inhaltliche Änderung 18. April 2000 durch Hartmut Bielefeldt
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