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Mount Everest
Chomolungma
(8850 m)

Expeditionstagebuch
und
praktische Informationen
01. April - 31. Mai 2002

Claudia Bäumler und Hartmut Bielefeldt
Verfasser: Hartmut Bielefeldt


Dieses Tagebuch beschreibt den Verlauf unserer Expedition auf die tibetische Seite des Mount Everest. Wir haben beide den Gipfel erreicht und hatten dort schönste Aussicht. Wir haben Flaschensauerstoff verwendet (wie die allermeisten anderen auch), und wir hatten einen Sherpa als Hochträger.

Inhalt

Teil I - Expeditionsbericht

  1. Frankfurt - Kathmandu - Rongbuk
  2. Basislager - ABC
  3. Zur Erholung ins Basislager
  4. Immer wieder zum Nordsattel
  5. Gipfelsturm
  6. Der lange Weg nach unten
  7. Zurück nach Kathmandu

Teil II - praktische Informationen (siehe unten)

[Teil 1: Frankfurt - Kathmandu - Rongbuk] [Teil 2]

Sonntag, 31. März 2002 / Montag, 01. April 2002

Frankfurt - Bahrain - Abu Dhabi

Durch die Einstellung der direkten Flugverbindung Frankfurt-Kathmandu durch Royal Nepal Airlines ist es mittlerweile recht schwierig geworden, nach Nepal zu kommen. Um am Montagabend dort zu sein, müssen wir uns zuhause schon sonntagfrüh auf den Weg machen.

Selbstverständlich geben auch diesmal die Karabinerhaken und Batterien Anlass, das Handgepäck detailliert vorzuführen - diesmal sogar in Frankfurt, Bahrain und Abu Dhabi. Nach 5 1/2 Stunden Flug sind wir in Bahrain; der vierzigminütige Anschlussflug für die 400 km nach Abu Dhabi fliegt um fast eine Stunde verspätet ab. So sind wir dort erst um 23 Uhr. Eine etwas undurchsichtige Organisation und eine französische Reisegruppe, die nicht gerade von der schnellen Truppe ist, verzögern die Busfahrt in die Stadt bis nach Mitternacht. Bis dann im Hotel in Abu Dhabi noch was Essbares aufgetrieben ist, ist es halb zwei. Das Hotel ist allerdings nicht schlecht - übrigens mit Badezimmerwaage.

Kurze Nacht: Um fünf Uhr ruft der Muezzin zum Gebet, und das ziemlich laut. Das betrifft uns jedoch nicht, und so schläft es sich von fünf bis sieben am besten. Nach gutem Frühstück geht's zurück zum 30 km entfernten Flughafen. Nochmals 3 1/2 Stunden Flug, und wir sind in Kathmandu.

Die Visaprozedur ist etwas komplizierter geworden: Formular ausfüllen, am Schalter anstehen, die Visagebühr wird auf dem Formular vermerkt, am nächsten Schalter anstehen, die Visagebühr bezahlen, am dritten Schalter anstehen, Visum und Stempel in den Pass bekommen. Wer kein Passbild hat, darf noch einmal mehr beim Fotografen anstehen. Das Taxi-Chaos vor dem Flughafen ist verschwunden, alles sieht fast unasiatisch ordentlich aus. Wir werden gleich von Asian Trekking in Empfang genommen und ins Hotel gebracht. Bis auf häufige Strassensperren durchs Militär aufgrund des immer noch geltenden Ausnahmezustands und insbesondere wegen des für ab morgen von den Maoisten forcierten Generalstreiks hat sich in Kathmandu nicht allzuviel verändert.

Dienstag, 02. April 2002

Kathmandu

Zum Glück wurde der Streik um drei Wochen verschoben, so können wir uns um die restlichen Einkäufe kümmern. Es gibt sogar einen Supermarkt, wo sich so manches findet. Auch Dinge, die wir in Deutschland vergeblich gesucht hatten wie Käse in Dosen.

Organisatorisches wird bei der Trekkingagentur geklärt; Miss Hawleys Gesandter sammelt bei uns Daten für die Statistik, und "unser" Sherpa kommt zur gegenseitigen Vorstellung vorbei. Mingma war schon einmal auf dem Gipfel und mehrere Male auf der Everest-Nordseite. Schwierigkeiten sind da weniger auf der alpinistischen als auf der sprachliches Ebene zu befürchten. Mingmas Aufgabe wird es sein, uns beim Transport der Ausrüstung in die Hochlager zu unterstützen, insbesondere also die schweren Sauerstoffflaschen, die Gaskartuschen und die Zelte selbst hochzubringen. Da der Sauerstoff sehr teuer ist, können wir uns es leider nicht leisten, den Gipfelgang zusammen mit ihm zu planen - wir haben nur zwei Sauerstoff-Ausrüstungen.

Das Wetter ist vormittags sonnig und warm, gegen Abend eher gewitterhaft. Man kann sich also darauf verlassen, dass irgendwann der Strom ausfällt. Das heutige Gewitter ist ziemlich hartnäckig, seit drei Uhr nachmittags ist es durchgehend am Regnen.

Mittwoch, 03. April 2002

Kathmandu

Kathmandu: Swayambunath
Swayambunath

Patan, Durbar Square
Patan, Durbar Square

Für heute haben wir Sightseeing vorgesehen. Das dritte Mal in Nepal, schauen wir uns diesmal die dritte Königsstadt im Kathmandu-Tal an, Patan. Mit einem halbwegs verlässlichen Stadtplan finden wir den dortigen Durbar Square problemlos zu Fuß, das sind 1 1/2 Stunden von Thamel aus.

Nachmittags steht noch die Sichtung unseres Luftfrachtgepäcks an. Auch das Gepäck anderer Kleingruppen ist angekommen - über manches kann man nur staunen. Manche Zweiergruppe hat mehr als doppelt soviel Gepäck dabei wie wir. Dabei haben wir selbst schon - so denken wir doch - reichlich Vorräte und Ersatzausrüstung vorgesehen.

Später gehen wir mit unserem Sherpa zum Einkaufen seiner Hochlagernahrung. Nach dieser Aktion steuern wir vor dem Abendessen erst mal eine Wechselstube an.

Donnerstag, 04. April 2002

Kathmandu

Verschiedene kleinere Einkäufe sind noch fällig. Einerseits noch Kekse und diverse andere Lebensmittel, andererseits Wäscheleine, eine Plastikplane und noch ein ganz normaler kleiner Kochtopf. Die letzteren Dinge sind etwas umständlicher zu finden als Postkarten, Gurkha-Messer und sonstiger Krimskrams, den man in Thamel alle fünf Meter angeboten bekommt.

Die deutsch-schweizer Gruppe1 ist gestern angekommen, eine Gruppe Mexikaner haben wir auch getroffen. Wie wir gehen sie alle an die Nordseite des Everest.Angeblich sind es insgesamt weniger Leute als letztes Jahr - so still wir auf unserer letztjährigen Tour am Minya Konka wird es aber dort ganz sicher nicht werden.

Abends gibt es eine organisatorischen Besprechung der ganzen "Gruppe" mit Asian Trekking. Obwohl wir als Zweier-Expedition am Berg unterwegs sein werden, sind wir bis einschließlich Advanced Base Camp einer Gruppe angeschlossen, die zusammen die An- und Abreise und die Küche und Basislager und ABC nutzt. Diese "internationale" Expedition besteht aus diversen Klein- und Kleinstgruppen wie wir:

Die derart zusammengewürfelte Gruppe hat natürlich auch Nachteile: Da wir ein Gruppenvisum haben, ist es für Einzelne schwierig, vorzeitig abzureisen.



1 www.everest-nordgrat.de

Freitag, 05. April 2002

Kathmandu

Die für heute geplante Abfahrt ist verschoben: Trotz der Absage des Streiks gab es in Westnepal Angriffe maoistischer Kämpfer auf Busse. Die Fuhrunternehmer haben daher aus Sicherheitsbedenken alle Überlandfahrten bis zum 7. April gestrichen. Verlässliches über die tatsächliche Sicherheitslage ist in Kathmandu - auch mit drei englischsprachigen Zeitungen - nicht zu erfahren. Wir wandern nach Swayambunath und zurück, wenigstens ist es am Tempel nicht so brütend heiß und abgasverpestet wie im Rest der Stadt.

Samstag, 06. April 2002

Kathmandu - Zhangmu

Tatsächlich kommen wir heute weg. Nach viereinhalbstündiger Fahrt erreichen wir problemlos den nepalischen Grenzort Kodari. Die Ausreiseformalitäten sind bald erledigt (ca. 1 Stunde).

Dann geht es zu Fuß über die Friendship Bridge, erste chinesische Einreisekontrolle. Mit dem Lastwagen (es mutet uns allerdings eher wie ein Viehtransport an, die meisten versuchen sich irgendwie auf der Ladefläche festzuhalten) fahren wir die ca. 10 km lange schlaglochübersäte Schotterstraße durchs Niemandsland hoch bis zur eigentlichen Grenzkontrolle. Hier hat man schwer aufgerüstet: ein Gepäckdurchleuchtungsgerät. Bis wir dann schließlich durch die tatsächliche Einreisekontrolle kommen, sind 3 1/2 Stunden vergangen.

In Zhangmu hat sich auch viel verändert seit 1999. Die ganze Hauptstraße durch den Ort ist jetzt geteert, keine stinkende Schlammpiste mehr. Viele der sehr verwegenen Holzhäuser über dem Abgrund sind chinesischen Betonbauten gewichen. Überhaupt sieht alles jetzt noch viel chinesischer aus als vor drei Jahren. Auch die Schweine, die vor drei Jahren noch im Schlamm und Abfall der "internationalen Straße" gewühlt hatten, sind wohl zwischenzeitlich in den Kochtopf gewandert.

Sonntag, 07. April 2002

Zhangmu - Nyalam

Morgens gibt es vor der Weiterfahrt etwas Klärungsbedarf wegen der Anzahl Personen pro Jeep. Nach einigen Telefonaten und ca. zwei Stunden ist das Ganze geklärt. Natürlich im Sinne der Chinesen, denn die sitzen schließlich am längeren Hebel.

Nach zwei Stunden Fahrt mit bester Aussicht auf die Schlucht ein paar hundert Meter unter uns ist Nyalam (3750 m) errreicht. Hier werden wir bis übermorgen bleiben, denn für die Akklimatisation wäre es von 2350 auf 3750 m sonst ein arg großer Schritt. Nachmittags nur ein kurzer Spaziergang auf 4000 m, das genügt für die Höhe.

Zu essen gibt es chinesisch: Reis mit verschiedenen Beilagen, die jeweils auf Platten für alle gemeinsam gereicht werden. Die meisten freunden sich schnell mit den Stäbchen an. Gewöhnungsbedürftig ist, dass es erst um acht Uhr Abendessen gibt. Das liegt aber daran, dass in ganz China einheitlich die Pekinger Zeit gilt, und die ist 2 1/4 Stunden später als die nepalische. Daher wird's nicht um halb sieben dunkel, sondern gegen neun 2.



2 Im Folgenden sind alle Zeitangaben chinesische Zeit, soweit nichts Anderes vermerkt ist.

Montag, 08. April 2002

Nyalam

Schon morgens ist es nicht so schön wie gestern mittag: zwar halbwegs sonnig, aber schon ziehen von Nepal her erste tiefe Wolken herein. Wir schaffen es trotzdem, in 4 3/4 Stunden auf den 4770 m hohen Berg jenseits des Flusses zu steigen, oben noch ganz passable Aussicht zu haben und vor dem abendlichen Sauwetter wieder zurück zu sein.

Der Bambus, den Mingma hier besorgt, geht ganz schön ins Geld - 50 Yuan für 20 Stäbe à 1 Meter. Auch beim Geldwechseln war sein Rat nicht der allerbeste: ich muss hier nochmals für 7 Yuan/US$ tauschen, während es in Zhangmu 8 gab. Das Wetter bleibt den ganzen Abend scheußlich, es schneit dicke, nasse Flocken.

Dienstag, 09. April 2002

Nyalam - Tingri

Auf der Straße nach Tingri
Auf der Straße nach Tingri

Die Nacht hat es durchgängig geregnet und geschneit, heute morgen sieht die Aussicht - soweit vorhanden - ziemlich trist aus. Über teils schlammige, teils noch vereiste Straßen geht es mit dem Jeep durch die verschneite Landschaft über den Lalung Leh Pass (5050 m) nach Tingri (4350 m), wo wir nach dreieinhalb Stunden ankommen.

Auch Tingri ist, verglichen mit 1999, wiederum ein ganzes Stück chinesischer geworden. Das Potenzial touristischer Erschließung hier ist den Chinesen natürlich nicht verborgen geblieben. Mehrere Läden haben entlang der Straße aufgemacht, und Omas Kneipe hat Fernsehen.

Das Hotel "Everest View" hat sich weniger verändert, als Türschloss dient immer noch ein Holzbalken, der von innen gegen die Tür verkeilt wird. Mutti vergibt sofort diensteifrig die Zimmer und verteilt Bonbons. Wer zu lange zum Auspacken braucht, bekommt auch schon ein zweites direkt in den Mund gesteckt.

Das Wetter hat sich zwar auf der Fahrt gebessert, und 35 km vor Tingri gab es eine wunderbare Aussicht auf Everest und Cho Oyu, nachmittags bewölkt es sich allerdings.

Die Kinder im Ort sind eine wahre Plage geworden. Sobald ein Ausländer in Sicht ist, wird er umringt und "Hello, Money" schreienderweise angebettelt. Ob die überhaupt den Unterschied zwischen den beiden Wörtern kennen?

Mittwoch, 10. April 2002

Tingri

Oberhalb Tingri: Mount Everest (links) und Cho Oyu (rechts)
Oberhalb Tingri: Mount Everest (links) und Cho Oyu (rechts)

Wunderbares Wetter heute morgen. Von unserer Akklimatisationswanderung auf die Hügel östlich von Tingri haben wir erstklassige Aussicht auf Everest (fast ohne Wolken, nur mit der üblichen Schnee-/Wolkenfahne), Cho Oyu und natürlich alles, was so drum herum steht.

Neues von der Straße: Wenn die Kinder mit Betteln nichts erreichen, werfen sie einem schon mal Steine nach. Die Hunde sind nicht nur lästig, sondern teils auch heimtückisch: Wie ich später erfahre, bin ich nicht der erste, der aus dem Hinterhalt heraus gebissen worden ist. Wilco hatte das zweifelhafte Vergnügen schon in Nyalam. Durch die dicke Hose ist aber eher eine Quetschwunde geblieben, so dass eine Ansteckung mit Tollwut oder Ähnlichem eher unwahrscheinlich ist.

Donnerstag, 11. April 2002

Tingri - Rongbuk - Basislager

Unterwegs zum Basislager
Unterwegs zum Basislager

Wir verlassen Tingri wieder mit den Jeeps. Kurz hinter dem Ort führt eine Abzweigung südwärts durch die weite Tingri-Ebene. Durch verschiedene Täler mit interessanten Engstellen kurvt sich das sehr rustikale Sträßchen langsam aufwärts, bis - ja, bis ein Lastwagen mitten auf der Piste steht.

Es ist der mit unserem Gepäck, der gestern schon zum Basislager losgefahren war. Mit Motorschaden nach 35 km haben die drei Sherpas hier die Nacht verbracht. Durch die Kälte sind sämtliche Obst- und Gemüsevorräte für das Basislager erfroren. Also sieben Wochen ohne Tomaten, Gurken, Äpfel und Ähnliches. Der Lastwagen der mexikanischen Expedition, der heute zusammen mit uns fährt, ist zum Glück fast leer. So kann alles umgeladen werden, und wir können zusammen mit dem Gepäck die Fahrt fortsetzen, jetzt umständehalber etwas beengter.

Der 5100 m hohe Lamna La Pass wird überwunden, dann geht es ganz allmählich mit diversen interessanten Flussquerungen und Geröllpassagen ins Tal hinunter. Endlich mal eine Straße, die so richtig nach Toyota Landcruiser schreit. Das Wetter ist sehr schön, und ganz besonders eindrucksvoll ist die Fahrt das Rongbuk-Tal hoch, wenn man im Hintergrund den riesigen Mount Everest schon sieht.

Im Rongbuk-Kloster gibt es den Segen des dortigen Lamas für die Reisenden. Unser Weg führt uns heute noch acht Kilometer weiter, wo sich am Ende der Straße das Everest-Basislager auf 5170 m Höhe befindet3. Wie das ganze Rongbuk-Tal ist es ein windiger Ort, ständig bläst es talabwärts. Wir richten es uns deshalb baldmöglichst in unserem Zweimannzelt möglichst wohnlich ein. Sechs Stunden hat die Fahrt - mit Umladen, Mittagspause und Klosterbesuch - gedauert.

Auch die Küche funktioniert trotz der verspäteten Ankunft der Ausrüstung schon nach zwei Stunden. Es gibt Suppe, Spaghetti, Blumenkohl und Salat. Wenn die Sonne weg ist, wird es schnell kalt und unangenehm. Die Abende im Mannschaftszelt sind daher nach dem Abendessen sehr schnell zuende.



3 auf der Washburn-Karte zwischen Samdopo Si und Toinzhubling, am P. 5176.

[Teil 1] [Teil 2: Basislager - ABC] [Teil 3]

Freitag, 12. April 2002

Basislager

In der Nacht klingt das Basislager eher wie eine Walrosskolonie: Überall grunzt, schneuzt, hustet es, und es sind nicht die Yaks, die diese Laute von sich geben. Andererseits hat es auch was von Autobahnparkplatz - wozu muss man nur mitten in der Nacht die Autos eine Viertelstunde warmlaufen lassen4und den Motor laut aufheulen lassen, nur um ihn dann wieder auszumachen?

Heute morgen liegen dünne nebelartige Wolken über dem Tal, aus denen es manchmal ein bischen grieselt. Kein Sonnenschein, aber auch kein Wind. Wir verbringen den Tag hauptsächlich im Zelt oder mit Sortieren des Gepäcks fürs ABC (Advanced Base Camp).



4 Überhaupt eine sehr lästige Angewohnheit der Fahrer, ständig den Motor laufenzulassen.

Samstag, 13. April 2002

Basislager

Das Basislager
Das Basislager

Gestern abend hat es schnell wieder aufgeklart; die Nacht war windstill, und auch am Vormittag ist es sonnig, kaum windig und sehr angenehm. Waschtag, denn im ABC wird es kaum so gemütlich sein, um der Körperpflege zu frönen.

Das Basislager liegt kurz vor der Zunge des Rongbuk-Gletschers. Obwohl der Mount Everest noch 20 km entfernt ist, wirkt er so riesengroß, als gehörte er gar nicht zu den anderen Bergen dazu. Vor dem Everest stehen Changtse (7580 m) und Changzheng Peak (6977 m) - anderswo wären das respektable Gipfel, aber hier verdecken sie einfach nur die untere Hälfte ihres großen Nachbarn. Durch den tiefen Einschnitt des Lho La sieht man übrigens den Nuptse, der jenseits des Khumbu-Gletschers schon ganz in Nepal steht.

Mittags bilden sich rasch Quellwolken, und die Aussicht ist futsch. Der Rest des Tages findet wieder im Zelt statt. Die deutsch-schweizer Expedition ist angekommen und - ein paar Stunden später - auch ihre Ausrüstung.

Abendessen heute nur zu sechst: Adrian hat seine Küche bekommen, und von George ist sowieso nie was zu sehen, er isst immer im Küchenzelt bei den Sherpas.

Sonntag, 14. April 2002

Basislager - Zwischenlager

Natürlich geht das Beladen der Yaks nicht reibungslos vonstatten. Man stellt fest, dass wir zehn zusätzliche Yaks brauchen - Kostenpunkt US$ 775. Entweder hat sich da schon bei der Planung jemand verrechnet, oder es hat sich mal wieder was an irgendwelchen Bestimmungen geändert. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir hier im Everest-Basislager sind und das Kilogramm hier eine merkwürdige Anomalie erfährt. Zumindest werden die Yaks wohl von Jahr zu Jahr schwächer, oder die Chinesen immer geldgieriger. Konnte 1997 am Cho Oyu ein Yak noch 60 kg tragen, waren es zwei Jahre später 50 kg, dieses Jahr dann nur 40 kg.

Noch bevor die Yaks beladen sind, machen wir uns zu Fuß auf den Weg. Die Route führt auf der linken (in Aufstiegsrichtung) Seite des Rongbuk-Gletschers taleinwärts und macht zwar im Nettogewinn nicht viele Höhenmeter, aber das ewige Auf und Ab der Moräne ist einigermaßen ermüdend. Nach 5 km geht es links das kleine Seitental hoch, das 1921 bekanntermaßen bei Mallorys Erkundungsexpedition übersehen worden war. Nachdem die erste Steigung in dieses Tal gemacht ist, geht es wieder weit flach nach hinten durch wundervolles Moränengelände - drei Meter hoch, zwei Meter runter im wunderbaren Grobschotter. Das zieht sich endlos. Nach insgesamt 5 1/2 Stunden sind wir endlich am Zwischenlager (5820 m) auf dem schuttbedeckten Gletscher. Bis unsere Yaks eintreffen, dauert's noch einmal eine halbe Stunde, dann können wir endlich ein Zelt aufbauen und erst mal ein bisschen ausruhen. Die Küche ist natürlicherweise bescheidener als im Basislager, dafür gibt's die ganze Nacht Glöckchengeklingel von den Yaks. Und die ständige Angst, dass eines dieser drei großen, kurzsichtigen und schreckhaften Viecher, die direkt vor unserem Zelt stehen, über eine Zeltschnur stolpert und in Panik das Zelt einreißt.

Yak im Zwischenlager
Yak im Zwischenlager

Auf ca. 6000 m, hinten der Kellas Rock Peak
Auf ca. 6000 m, hinten der Kellas Rock Peak

Montag, 15. April 2002

Zwischenlager - ABC

Nach kurzem Frühstück und Verpacken von Zelt, Isomatte, Schlafsack (diese Sachen kommen aufs Yak) geht es heute an die zweite Etappe. Diese erweist sich als eher noch mühsamer als die erste. Zwar sind nicht ganz soviele Gegensteigungen drin, dafür liegt das Ganze in einer Höhe um 6000 Meter. Was für riesige Flächen um den Everest herum derart hoch liegen - wir sind gut 6 Stunden unterwegs für nur 600 Höhenmeter, aber 9 km Strecke.

Der Gletscher ist im mittleren Teil ein großes Durcheinander aus riesigen Eisklippen, die - als überdimensionales Büßereis, bis 30 Meter hoch - von der starken Sonneneinstrahlung herausgearbeitet wurden.

Küchenzelt und unsere Zelte sind im Lauf des Nachmittags aufgebaut, und wir beginnen uns hier im ABC (Advanced Base Camp, vorgeschobenes Basislager) einzurichten. Böse Überraschung für den Kitchen Boy: Das Getränkepulver ist offensichtlich unter Normaldruck eingeschweißt worden. Sobald man den Deckel aufdreht, kann die Folie den Überdruck nicht mehr halten, und es gibt eine äußerst staubige und laute Explosion.

Die lange Etappe in der Sonne und die Höhe unseres neuen Zuhauses auf 6400 m machen sich - nicht ganz unerwartet freilich - in heftigen Kopfschmerzen bemerkbar. Nach 1-2 Aspirin, viel Trinken und der Basislager-üblichen langen Nachtruhe bessert sich das bald. Die Nächte sind lang hier oben: Um 18 Uhr liegt das Küchenzelt im Schatten, dann wird es schnell kalt. Um 20 Uhr gibt's Abendessen, eine Stunde später verkriecht sich alles ins Zelt. Morgens erreicht die Sonne um halb neun das Zelt - und wer wollte schon freiwillig früher aufstehen, von den nächtlichen Kurzausflügen für den Wasserhaushalt ausgenommen.

Dienstag, 16. April 2002

Ruhetag im ABC

Das ABC
Das ABC

Unser Zelt liegt windgeschützt in einer Mulde.
Unser Zelt liegt windgeschützt in einer Mulde.

Schönes Wetter, aber trotzdem ist heute Ruhetag. Das ABC ist der letzte Ort, den man ohne Bergausrüstung erreichen kann; bevor es weitergeht, müssen wir uns hier halbwegs ordentlich akklimatisieren5, die Ausrüstung sortieren und uns möglichst wohnlich einrichten.

Das Lager liegt auf 6400 m auf bzw. an der (orographisch) linken Seitenmoräne des östlichen Rongbuk-Gletschers unter den Hängen des Nordostgrats des Changtse. Dadurch bekommt es schon am Nachmittag (18:15) keine Sonne mehr. Das kleine Tal, an dessen Eingang das Lager liegt, führt direkt zum Nordsattel hoch. Im Südosten ist es vom Nordostgrat des Everest begrenzt.

Unsere Route, der Normalweg der tibetischen Seite, wird uns zuerst auf den Nordsattel (7069 m) führen und dann dem Nordgrat folgen, fast bis er sich mit dem Nordostgrat trifft (Nordschulter, 8383 m). Ab dort folgt man mit Umwegen in der Nordwestflanke dem Nordostgrat zum Gipfel, wobei die drei Aufschwünge First, Second und Third Step zu überwinden sind. Bis wir ernsthaft daran denken können, sind aber noch drei Hochlager (7000 m, 7600 m, 8200 m) einzurichten und einiges an Höhenmetern zu machen. Momentan sehen wir die Aufstiegsroute von hier "unten" sehr stark verkürzt, was das Einschätzen von Steilheit oder gar Schwierigkeit sehr erschwert.

Bis wir als erstes den Nordsattel angehen können, wird es Samstag werden: Die Puja-Zeremonie ist für Freitag angesetzt, und vorher gehen die Sherpas nicht an den Berg. Da wir das Zeltaufstellen und den ersten Transport sinnvollerweise zusammen mit Mingma machen sollten, ist also frühestens Samstag möglich.



5 Für einen längeren Aufenthalt liegt das ABC eigentlich deutlich zu hoch, denn eine vollständige Akklimatisation kann man nur bis 5300 m erreichen.

Mittwoch, 17. April 2002

Ruhetag im ABC

Wieder ein wolkenloser Tag, wieder beginnt er mit einem lästigen, böigen Wind, der vom Nordsattel her kommt. Die letzte Nacht war ungemütlicher als die erste im ABC, mit deutlich mehr Kopfschmerzen. Wir müssen wohl noch disziplinierter Flüssigkeit zu uns nehmen - aber dann sitzen wir ja permanent auf dem Örtchen.

Immerhin, im Lauf des Tages geht's uns wieder besser. Ohne große Mühe unternehmen wir einen kleinen Ausflug zum oberen Ende der Moräne Richtung Nordsattel ("Crampon Point"), 160 Höhenmeterchen. Der Gletscher besteht über große Flächen aus nahezu perfektem, durchsichtigem Eis, in dem man die Risse und Lufteinschlüsse bis in etliche Meter Tiefe verfolgen kann. Man kommt sich vor, als würde man auf einer großen Glasfläche stehen.

Wir haben uns mittlerweile auf die Essenszeiten geeinigt: Frühstück um 9, Mittagessen um 14 und Abendessen um 20 Uhr chinesischer Zeit. Der Einzige, dem das nicht klar war, war der Koch. Wohl wissen wir, dass er nach nepalischer Zeit rechnet (also 2 1/4 Stunden früher), aber wir wussten natürlich nicht, dass seine Uhr zusätzlich um eine Stunde falsch gestellt ist, er aber von ihrer Richtigkeit fest überzeugt ist. Also leben wir jetzt in drei Zeitzonen gleichzeitig: Peking-Zeit (MESZ+6), Nepal-Zeit (MESZ+3:45) und Uhr des Kochs (MESZ+2:45).

Donnerstag, 18. April 2002

Ruhetag im ABC

Langsam schläft man nachts etwas besser. Immer noch muss ich aber während der Nacht etwa einen Liter trinken, um die gröbsten Kopfschmerzen zu vermeiden. Claudia muss dafür mindestens zwei Mal nachts raus, wenn die ganze Flüssigkeit ihren Weg durch den Körper zurückgelegt hat.

Gestern abend hat es kurz etwas Schneegriesel gegeben, dann hat der Wind wie üblich wieder zugenommen. Heute morgen ist es wieder sonnig, aber deutlich windiger als die letzten Tage. Ab dem Nordsattel trägt der Everest eine große Schneefahne, und die plötzlich über den Tisch fliegende Zeltstange im Mannschaftszelt war eine sehr unerwartete Überraschung.

Freitag, 19. April 2002

ABC - Rapiu La - ABC

Das mit dem besser Schlafen ist vielleicht auch eine Frage von Atemtechnik und Liegeposition. So lange, wie die Nächte hier sind, kann man eh kaum schlafen. Sobald die Sonne weg ist, wird's kalt und windig, und der einzig vernünftige Aufenthaltsort ist der Schlafsack.

Vormittags ein Ausflug zum Rapiu La (6548 m) - das ist der Pass, der unser Tal mit dem Tal der Ostflanke verbindet. Die andere Seite besteht allerdings aus so wilden Abbrüchen, dass er als Übergang wohl kaum in Frage kommt. Aber es gibt eine schöne Aussicht auf Makalu, Lhotse, die Nordostwand des Everest und die Fantasy Ridge, die diese Wand von der eigentlichen Kangshung-Wand trennt. Sehr beeindruckende Schnee- und Eisformationen, und nun auch keine Frage mehr, weshalb die Fantasy Ridge der letzte noch unbestiegene Grat am Everest ist.

Der Wind, der heute beständig mit 40-50 km/h bläst, lässt uns heute lernen, dass er hier den Ton angibt: Auf dem Hinweg war er einfach nur ziemlich kalt, aber der Rückweg gegen den Wind ist eine eisige Tortur.

Samstag, 20. April 2002

ABC - Nordsattel (Lager 1) - ABC

Die Puja wurde auf Sonntag verschoben, dieser Freitag sei kein guter Tag. Das würde für uns zwei weitere - mittlerweile eher schädliche als nützliche - Ruhetage im ABC bedeuten, bevor am Berg irgendwas passiert. Wir wollen daher heute das erste Zelt selber zum Nordsattel bringen.

Mingma lässt es sich nicht nehmen, uns dabei zu helfen. Nach vier Stunden hat er auf dem Nordsattel unser Zelt aufgestellt und ist wieder zurück im ABC. Wir sind etwas länger damit beschäftigt, unsere eigenen Sachen (Schlafsack, Isomatte, Essen) dorthin zu bringen. Der Weg ist zwar nicht schwierig, der Gletscherbruch ist gut mit Fixseilen versichert. Mit zehn Kilo Gepäck auf über 7000 m zu gehen, ist für uns aber keineswegs ein Kinderspiel ohne großartige Höhenanpassung: Am Ende braucht's nach jeweils zehn Schritten eine Pause.

Immerhin sind unsere 5 bzw. 5 1/2 Stunden bis zum Nordsattel dadurch noch ausbaufähig. Das Wetter bietet alles von kalt und windig bis brütend heiß. Da das hauptsächlich vom Wind abhängt, kann das innerhalb weniger Minuten wechseln. Der Rückweg auf dem flachen Gletscherteil ist durch den heftigen Seitenwind sehr mühsam.

Sonntag, 21. April 2002

Ruhetag im ABC

Heute morgen ist es wie üblich wolkenlos, aber windiger als die Tage zuvor. Die Puja-Zeremonie wird so eine kalte Angelegenheit - das Bier gefriert in der Tasse, und bei dem Wind ist das Aufhängen der Gebetsfahnen nicht so einfach. Immerhin findet das Ganze bei Sonnenschein statt.

Schon ab Mittag schneit es, und auch abends bleibt es bedeckt. Mit -16°C ist es beim ins-Zelt-Kriechen sehr frisch.

Das Abendessen ist schon fast wieder der Erwähnung wert, so ausnehmend schlecht wie es heute ist: Brei aus zerkochten Kartoffeln, unidentifizierbarem Gemüse und zerkochtem Yak. Nicht, dass Yak in irgendeinem anderen Aggregatzustand wohlschmeckender wäre...

[Teil 2] [Teil 3: Zur Erholung ins Basislager] [Teil 4]

Montag, 22. April 2002

Abstieg ins Basislager

Zum ersten Mal morgens schlechtes Wetter. Die Schönwettervariante unserer Planung wäre der Aufstieg zum Nordsattel und Übernachtung dort gewesen. Die Anderen ziehen mit scheinbar größter Begeisterung im Schneetreiben los - wir haben dazu nicht die geringste Lust, denn jenseits des Nordsattels lässt sich momentan noch keine sinnvolle Arbeit machen, bevor die Expeditionen Brice und Kobler dort Fixseile verlegt haben6. Der Aufbau von Lager 2, der logisch einer Übernachtung in Lager 1 folgen würde, kann also noch warten. Es ist sowieso noch zu windig dort oben.

Nachdem wir schon über sechs Tage im ABC sind, ist es Zeit für einen Erholungsausflug in das nur 5170 m hoch gelegene Basislager. Dort kann man sich noch ordentlich akklimatisieren, während man auf 6400 m nie voll angepasst sein kann und auf Dauer an Substanz und Leistungsfähigkeit verliert. Der Weg zum Basislager ist allerdings sehr, sehr lang. Zwanzig Kilometer in dieser Höhe, mit all den kleineren und größeren Gegensteigungen von Moränenhügel zu Moränenhügel, dauern eine lange Zeit und sind recht nervig. Oft sieht es so aus als hätten die Yaks den Weg gemacht und kein vernünftig denkendes Wesen.

Nach langen 7 1/2 Stunden endlich das Basislager. Gerade rechtzeitig, nach einigen trockenen Phasen zwischendurch fängt es jetzt wieder richtig zu sauen an.



6 Die größten Expeditionen verlegen die Fixseile, da sie für diese Arbeit auch leichter Sherpas abstellen können. Die anderen Gruppen zahlen dann eine Benutzungspauschale (in diesem Jahr 25 US$ pro Person).

Dienstag, 23. April 2002

Ruhetag im Basislager

Ruhetag im Basislager. George ist auch schon seit ein paar Tagen hier. Koch Maila sorgt ausgezeichnet für uns; zum Mittagessen gibt's Momos (tibetische Teigtaschen). Ausserdem ist wieder mal Waschtag - im ABC ist es dafür einfach zu kalt. Das Wetter ist eher durchschnittlich, morgens Sonne (die den Schnee bald wegschmelzen lässt), später eher wolkig und ziemlich windig.

Mittwoch, 24. April 2002

Ruhetag im Basislager

Wir genießen Mailas Kochkünste, Unterhaltungen mit George, die paar Bücher, die wir hier unten gelassen hatten, und das schöne Wetter - auch wenn es mittags sehr windig wird. Im Zelt stört das kaum. Man schläft von zehn (nach dem Abendessen) bis zehn (wenn die Sonne morgens das Zelt erreicht).

Donnerstag, 25. April 2002

Ruhetag im Basislager

Fast alles wie gestern. Nachmittags kommen Daniel und Jorge vom ABC. Oberhalb des Nordsattels ist immer noch nichts geschehen, der Schnee ist zu tief und der Wind zu stark. Wann also die Fixseile zu Lager 2 wirklich installiert bzw. ausgebessert werden, weiß noch niemand.

Freitag, 26. April 2002

Basislager - Zwischenlager

Morgens ist es sonnig, aber windig wie noch nie. Zwar ist der Wind sehr lästig, aber wir machen uns trotzdem auf den Weg zurück ins ABC. Durch diese Entscheidung schlittern wir geradewegs in ein Drama in fünf Akten, Hauptdarsteller Claudia, Hartmut, das Wetter und der Weg zum Zwischenlager.

  1. Bei gutem, aber windigem Wetter gehen wir am Rongbuk-Gletscher südwärts. In Nepal steigen Quellwolken auf.
  2. Die Wolken aus Nepal haben sich zusammengetan, den Grenzübertritt atemberaubend schnell geschafft und decken uns mit kräftigem Schneefall ein. Wir drehen um.
  3. Nach halbstündiger Flucht ist es sonnig. Der Blick zurück zeigt die Schneefront verschwunden. Neuer Anlauf Richtung ABC.
  4. Als wir wieder am Abzweig des östlichen Rongbuk-Gletschers sind, schlägt die nächste Schneefront zu, diesmal aber kreisförmig übers Basislager ausholend. In der Annahme, auch dieser Schneefall dauere nur etwa eine Stunde, gehen wir weiter. Unsere Annahme war natürlich falsch, es schneit die ganzen vier Stunden bis zum Zwischenlager unentwegt. Mit zunehmendem Wind wird das Schneegestöber immer dichter, die Spur im verschneiten Gelände oft schwer zu finden. Unangenehm kalt ist das Ganze natürlich auch. Nicht, dass wir es noch schaffen, uns in den Trekkingschuhen die Füße anzufrieren...
  5. Dreißig Minuten nach unserer Ankunft im Zwischenlager hört es auf zu schneien, und innerhalb weniger Minuten sind alle Wolken verschwunden.

Samstag, 27. April 2002

Zwischenlager - ABC

Nicht gut geschlafen im Zwischenlager - erstens ist das Zelt etwas schräg, zweitens sind diese Nacht wohl alle Stürme der Welt bei uns unterwegs.

Morgens ist es plötzlich fast windstill. Bei Sonne und -10°C arbeiten wir uns den langen Weg zum ABC aufwärts. Der gestern gefallene Schnee macht die Sache auf dem ohnehin sehr schlechten Weg nicht einfacher. Wie beim ersten Mal brauchen wir über sechs Stunden. Der Wind frischt am Nachmittag auf; über dem Everestgipfel jagen Wolkenfetzen mit geschätzten 200-300 Sachen7.

Auf der Strecke kommen uns Hans und Wilco sowie Mingma entgegen. Mingma hatte die zwei etwas windärmeren Tage genutzt und Lager 1 auf dem Nordsattel weitgehend ausgerüstet, aber momentan ist es viel zu windig, um halbwegs ohne Erfrierungen höher hinaus zu gehen.



7 Davon ausgehend, dass die Gipfelpyramide 150 m Höhe wie (halbe) Breite hat und die Wolken diese Strecke in zwei Sekunden zurücklegen.

[Teil 3] [Teil 4: Immer wieder zum Nordsattel] [Teil 5]

Sonntag, 28. April 2002

Ruhetag im ABC

Nach dem langen und unnötigerweise anstrengenden (Schlechtwetter!) Aufstieg der letzten zwei Tage gibt es heute einen Ruhetag im ABC. Auch hier hat sich nicht viel verändert - morgens Sonne, später ein paar Wolken, und die Temperatur im Schatten bleibt immer unter -5°C. Der Wind ist mal so, mal so, einzig richtig einschlafen tut er nie länger als drei Minuten. Nachmittags schneit es drei Stunden lang intensiv und unangenehm, danach flaut der Wind ab, es ist restlos zugezogen und schneit leise vor sich hin. Es scheint keine Anzeichen zu geben, die eine Vorhersage des Wetters über irgendeinen Zeitraum erlauben würden - nicht mal für einen halben Tag, geschweige denn für länger. So ist eben mal wieder Lesen und gelegentliches Naschen von unseren Extravorräten in unserem Zwei-Personen-Zelt angesagt.

Montag, 29. April 2002

Ruhetag im ABC

Nach Mitternacht hat sich dem Schneefall wieder Sturm dazugesellt. Der Wind ist hier ganz eigenartig böig. Manchmal hört man die Sturmbö das Tal vom Nordsattel herunterkommen wie ein D-Zug und hat dann zehn bis dreißig Sekunden Vorwarnzeit. Manchmal kommt der Schlag dagegen ganz unerwartet. Das Zelt ächzt und flattert, überall rieselt der Schnee, und danach ist (fast) wieder Ruhe. Bis zur nächsten Bö, also vielleicht ein paar Minuten, vielleicht auch weniger.

Die morgendliche Aussicht aus dem Zelt ist nicht sehr motivierend. Ein paar Berge sind knapp zu erkennen, und davor werden Schneefahnen über den Gletscher getrieben8.

Im Mannschaftszelt ist alles einen Zentimeter mit Schnee bedeckt, wir frühstücken im Küchenzelt. Dort gibt es für den Koch andere Herausforderungen zu meistern, z.B. Rührei zu machen, während das Eigelb in der Pfanne noch gefroren ist. Für heute ist also alles klar - zum Nordsattel gehen wir bei dem Wetter nicht. Einer der vielen, vielen Ruhetage. Wenn's sich aber nicht deutlich bessert, verkriechen wir uns ganz im Zelt. Die dreißig Meter zum Küchenzelt zum Mittag- und Abendessen sind das Äußerste, was man sich da noch halbwegs freiwillig abverlangt.



8 Da es recht kalt ist, schneit es meist nicht sehr viel. Diese Nacht waren es 10 cm, soviel hatten wir bis jetzt noch nicht.

Dienstag, 30. April 2002

Ruhetag im ABC

Das gestrige Wetter hielt die ganze Nacht über an. Heute morgen dagegen Sonnenschein und Windstille - aber nur für fünf Minuten. Danach legt der Sturm noch eins drauf. Etwa 100 km/h, man kann nur mit Mühe stehen. Küchen- und Mannschaftszelt sind zerstört, ratlos stehen wir im Schneesturm. In aller Hektik wird vor dem Wegfliegen gesichert, was sich sichern lässt. Eisig kalt ist es, man kann nur mit dem Rücken zum Wind stehen und mit Mühe gegen den Sturm anschreien. Was tun? Ins Basislager absteigen, bis das Wetter wieder gut wird?

Andere Gedanken: Wie wird es unserem Zelt auf dem Nordsattel ergangen sein? Dort sind unsere Hochlagerschlafsäcke, sämtliche Kocher und die beiden Zelte für die weiteren Hochlager drin. Wenn es das einfach so über den Abhang weht, ist für uns die Expedition beendet. Aber im Fernglas sieht man zumindest was grünes Rundliches, es steht also noch dort. Ob es beschädigt ist, wird sich bei näherem Augenschein zeigen.

Zum Glück beruhigt sich das Wetter schon am Vormittag. Fast windstill, -5°C, Sonnenschein. Nichts lässt mehr das Inferno erahnen, das hier noch vor drei Stunden getobt hat. Die Köche nähen aus den Resten ein neues Küchenzelt zusammen, und wir bauen es zusammen auf - diesmal hoffentlich stabiler als sein Vorgänger.

Mittwoch, 01. Mai 2002

ABC - Nordsattel

Sonniges Wetter. Aber unser großer Feind ist heute nacht wieder aufgewacht: Wie immer kommt der Wind vom Nordsattel her, und wenn er sich nicht bald deutlich beruhigt, wird das wieder ein Ruhetag. Da der Wind so böig ist, lässt sich schwer beurteilen, ob der Wind tatsächlich aufgehört hat oder nur eine kleine Pause macht.

Wir hoffen auf längeren Frieden und ziehen zum Nordsattel los. Durch den Neuschnee der letzten Tage ist die Spur an den Fixseilen schlecht ausgetreten und rutschig. Die letzte Stunde graupelt es ein wenig. Wieder fünf Stunden für die Strecke. Unser Zelt ist vom Sturm nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, und auch fast alle anderen Zelte in der Umgebung stehen brav. Nur die Koblerschen Zelte, die viel weiter links auf einer Rippe stehen, haben einiges abbekommen. Die zwei am Boden liegenden Wracks neben der Kobler-Siedlung gehören - wie wir später erfahren - Daniel und Jorge.

Unser Zelt ist von Mingma wunderbar sturmsicher abgespannt worden. Noch schöner wäre es allerdings gewesen, wenn er es auf einem halbwegs flachen Stück Boden aufgestellt hätte. Nicht nur, dass es insgesamt schräg steht, in der Mitte ist auch noch ein ansehnlicher Buckel. Draußen stürmt und schneit es, es ist also weder an das Aufstellen eines anderen Zelts noch an Korrekturen bei diesem zu denken. Es wird also eine sehr unbequeme Nacht auf 7000 m werden.

Selbst bei so was Trivialem wie der Suche nach einem geeigneten Örtchen ist in dieser Gegend Vorsicht geboten. Claudia fällt in eine Spalte, kommt aber selber wieder raus.

Donnerstag, 02. Mai 2002

Nordsattel - ABC

Lager 1 mit Changtse
Lager 1 mit Changtse

Wenn überhaupt, dann haben wir sehr schlecht geschlafen. Langes, langes Warten aufs Hellwerden. Dann aber ein großartiger Morgen, sonnig und warm (so -10°C) und windstill. So können wir unsere Liegefläche korrigieren: Zeltverspannung lösen, Zelt hochklappen, Schneefläche einebnen, Zelt wieder hinstellen. Klingt nebensächlich, sind aber auch zwei Stunden Arbeit auf dieser Höhe.

Vier Russen gehen heute vom Nordsattel zu Lager 2, die Fixseile scheinen vorhanden zu sein. Wir dagegen steigen wieder ins ABC ab, wie sowieso geplant war. Die verschneiten Fixseile im oberen Bereich sind unpraktisch, weil stark gespannt (man kann daran nicht abseilen, sondern muss vorsichtig gesichert absteigen). Weiter unten kommt uns das halbe ABC auf dem Weg zum Nordsattel entgegen, was an dem unteren Seil auch etwas für Wartezeiten sorgt. Aber in 1 3/4 Stunden ist man auf jeden Fall im ABC, wo gleich die Küche geplündert wird.

Das schöne Wetter ist leider am Nachmittag schon wieder vorbei. Es graupelt, ohne allzu starken Wind.

Freitag, 03. Mai 2002

Ruhetag im ABC

Ruhetag im ABC, um unsere Energiereserven nach dem Aufenthalt auf 7000 m wieder aufzufüllen. Morgens tun wir das mit dem täglichen Ei, sei es nur gerührt, gekocht oder gespiegelt, zusammen mit etwas "Brotähnlichem". Mittags gibt es häufig Fisch aus der Dose und Pommes Frites. Abends gibt es dann ein komplettes Menü aus Suppe, Nudeln o.ä. mit Sauce und manchmal sogar Dosenfrüchte als Nachtisch zu bewältigen.
Heute dürfte Mingma wieder vom Basislager hochkommen. Dann könnten wir morgen nach Lager 1 gehen, übermorgen Lager 2 installieren. Danach wären nur noch zwei Aufstiege nötig: beim ersten Aufstieg Übernachten in Lager 1 und in Lager 2 und Einrichten von Lager 3, und beim zweiten schließlich der Gipfelversuch. So steht es zumindest in unserem Plan. Wieviel man hier vom Plan halten kann, haben wir ja schon erfahren.

Samstag, 04. Mai 2002

ABC - Nordsattel

Man glaubt es kaum - wolkenloser Himmel und Windstille. Wie geschaffen für einen erneuten Aufstieg nach Lager 1, um dort endlich gut zu schlafen und in Richtung Lager 2 weiter zu schauen. Mingma ist erst gestern vom Basislager gekommen und braucht einen Ruhetag, so gehen wir zwei alleine zum Nordsattel.

Die Spur im Steilhang wird von Mal zu Mal schlechter, immer wieder rutscht man im Neuschnee ab. Wo es noch Reste der Aufstiegsspur hatte, ist diese durch auf derselben Spur herunterrennende Sherpas zertrampelt. Im Hang ist es abwechselnd eisig kalt mit Schneedrift oder brütend heiß bei Windstille.

Oben angekommen, haben wir den ganzen Nachmittag bei bewölktem, aber ruhigem Wetter Zeit, genügend zu essen und zu trinken. Im Gegensatz zu vor drei Tagen sind heute recht viele Leute in Lager 1, schätzungsweise dreißig.

Sonntag, 05. Mai 2002

Nordsattel - unteres Lager 2 - Nordsattel - ABC

Das Wetter ist nicht makellos, aber kaum windig. Der Weg zu Lager 2 führt den markanten Schneegrat hoch. Die ganze Strecke ist Gehgelände ohne jegliche Schwierigkeiten, die Fixseile dürften hauptsächlich bei starkem Sturm oder Nebel Sinn machen. Durch die verkürzte Perspektive, wenn man den Grat hochschaut, kann man Entfernungen kaum einschätzen, und der abwechslungslose Rücken zieht sich endlos. Wo der Schnee oben in Fels übergeht, beginnt nach ca. 5 Stunden Aufstieg Lager 2. Ab hier gibt es auf den nächsten 300 Höhenmetern diverse Lagermöglichkeiten in gestuftem Fels-/Schuttgelände. Dieses ganze Lager 2 ist stark dem Wind ausgesetzt, der uns auf dem Schneegrat freundlicherweise in Ruhe gelassen hat.

Wir deponieren Essensvorräte und Kocher und steigen wieder ab, eine Stunde bis Lager 1. Da diese Aktion ziemlich anstrengend war - Lager 2 liegt immerhin schon höher als die meisten Gipfel der Umgebung - steigen wir weiter ab ins ABC, um dort auszuruhen. In Lager 1 zu übernachten und morgen nochmal nach Lager 2 zu gehen, um dort zu übernachten, erscheint uns zu kräftezehrend.

Montag, 06. Mai 2002

Ruhetag im ABC

Das wäre sowieso nichts geworden mit Lager 2 heute. Bewölkt, leichter Schneefall. Jorge, der in Lager 1 geblieben war, kommt morgens ins ABC und erzählt von starkem Wind. Im ABC ist es eher schwachwindig, schneit aber den ganzen Tag immer wieder ein bisschen.

Dienstag, 07. Mai 2002

Ruhetag im ABC

Ständig dieses unentschlossene Wetter. Nachts war es völlig sternenklar, am Morgen schneit es wieder, und am Vormittag kämpft sich zögernd die Sonne durch. Da momentan Mingma damit beschäftigt ist, Lager 2 und Lager 3 einzurichten, haben wir hier unten im ABC noch ein paar Ruhetage.

Immerhin erlaubt uns das Wetter endlich, einige Sachen zu waschen. Trocken wird's allerdings nicht so recht, weil immer wieder Schneeschauer über die Wäscheleine fegen. Schon nach kurzer Zeit kann man die tiefgefrorenen Hosen problemlos in eine Zeltecke stellen.

Auch Mingma war oben nur teilweise erfolgreich. Er hat sich im Sturm bis ca. 7800 m gekämpft - dem geplanten Platz für Lager 2 - und dort zwei Zelte deponiert. Danach ist er allerdings ziemlich fertig ins ABC zurückgekommen.

Waschtag im ABC
Waschtag im ABC

Mittwoch, 08. Mai 2002

Ruhetag im ABC

Wolkenlos, fast windstill. Socken-trocken-Wetter. Immerhin gibt uns das Wetter eine Idee davon, dass es hier tatsächlich wärmer sein kann als bisher. Die Everest-"Veteranen" fantasieren immer wieder von "T-Shirt-Wetter im ABC", und wir konnten uns das überhaupt nicht vorstellen.

Donnerstag, 09. Mai 2002

ABC - Nordsattel

Wieder auf dem Weg ins Lager 1, diesmal bei nie vorher erlebtem Wetter: fast wolkenlos und im Gletscherbecken unerträglich heiß. Auch wenn man alles hochkrempelt, was man so anhat - die Hose ist schließlich für einen Achttausender gedacht und entsprechend dick. Und nur in der Unterhose aufzusteigen, dürfte einen sofortigen KO wegen Sonnenbrand zur Folge haben. So mühen wir uns langsam aufwärts, die Hitze wird immer wieder von eisigen Windböen mit Schneeverfrachtungen unterbochen. Kein Wunder, dass das mit 6 1/2 Stunden meine neue persönliche "Rekordzeit" zum Nordsattel gibt.

Freitag, 10. Mai 2002

Nordsattel - ABC

Mingma versucht heute, das Zelt in Lager 2 aufzustellen und Sauerstoffflaschen nach Lager 3 zu bringen. Wir wollen derweil von Lager 1 nach Lager 2 aufsteigen und dort auf 7800 m übernachten. Das wäre die letzte "Pflichtleistung" vor dem Gipfelversuch für das, was man für unsere Route für die beste Höhenanpassungs-Taktik hält.

Die Nacht war ruhig und friedlich, und der Wetterbericht der Schweizer (Kari Kobler) sieht bis Sonntag schönes Wetter voraus, für heute sogar mit ausgesprochen wenig Wind. Das aber beeindruckt den Nordgrat wenig, dort weht es mit Sturmstärke. Nicht mit uns - nach einer Stunde sind wir zurück im Zelt in Lager 1. Ganz verkehrt scheint das nicht gewesen zu sein: Auf 7800 m ist es weder Mingma noch sonst jemandem gelungen, im Sturm auch nur ein Zelt aufzustellen. Dafür scheinen fünf dort stehende Zelte nur noch Schrottwert zu besitzen, und wer in den intakten Zelten übernachtet hat, hat im Sturm nur Zelt festgehalten, aber keine Minute geschlafen.

Uns bleibt nichts als (wieder mal) ins ABC abzusteigen und ruhigere Verhältnisse abzuwarten. Auf dem Gletscherplateau ist es dabei richtig unbehaglich - bis 100 km/h Seitenwind.

Schönes Wetter alleine genügt am Everest also offensichtlich nicht. Ohne eine drastische Abschwächung des Windes ist an das Aufstellen der oberen Lager, geschweige denn an den Gipfel, nicht zu denken. In den meisten Jahren gibt es diese Abschwächung tatsächlich, und sie kommt zwischen dem 10. und 25. Mai. Mal sehen...

Immerhin, wärmer ist es im ABC in den letzten Tagen ohne Zweifel geworden. Kein morgendlicher Raureif mehr im Zelt, und man sieht Koch Maila gelegentlich mit einem Wasserkanister vom Gletscher kommen. Irgendwo muss er also fließend Wasser gefunden haben, und wir müssen am Ende doch nicht den ganzen Gletscher kurz und klein hacken und in den Kochtopf werfen, um genügend Wasser zu haben.

Samstag, 11. Mai 2002

Ruhetag im ABC

Mit der Zeit werden die Ruhetage zu einer Plage. Zu tun gibt's nichts, die Bücher sind bald alle ausgelesen, das Mannschaftszelt ist unbequem (besonders die primitiven Stühle darin), und die Anderen meist nicht gerade gesprächig. Das Wetter ist nicht schlecht, aber zum Draußensitzen zu windig. Und am Everest oben bläst es immer noch wie verrückt.

Sonntag, 12. Mai 2002

Ruhetag im ABC

Ruhetag, Zeit für Gerüchte. Adrian, der mit uns zusammen angereist war und sich später mit seinen von Lhasa kommenden Kameraden zusammengetan hat, hat die Expedition abgebrochen und habe mit einem Jeep das Basislager verlassen, ohne diesen zu bezahlen9, heißt es.

Wichtigeres Gerücht: Nächste Woche scheint es - wenn man den Vorhersagen Glauben schenkt - ein Schönwetterfenster mit wenig Wind zu geben. Das Fenster an sich sehen alle Prognosen, allerdings mit unterschiedlicher Länge. Wenn es wirklich von Montag bis Freitag dauern würde und der Wind am Donnerstag am schwächsten wäre, dann würde es genau für einen ersten Gipfelversuch reichen. Vorausgesetzt, Mingma gelingt es, Lager 2 einzurichten und die restlichen Sachen nach Lager 3 zu bringen, woran bei seiner Energie aber wenig Zweifel angebracht sind.



9 Zwei Jeeps sind seitens der Tibet Mountaineering Association für die reguläre Rückreise im Preis inbegriffen. Die vorherige Abreise Einzelner kostet bis Nyalam US$ 700 pro Fahrzeug.

[Teil 4] [Teil 5: Gipfelsturm] [Teil 6]

Montag, 13. Mai 2002

ABC - Nordsattel

Wie üblich, gibt es vor dem Aufbruch noch wilde Spekulationen, welche der großen Gruppen an welchem Tag zum Gipfel aufbrechen wird. Für uns ist das nicht ganz unwichtig, weil wir zu zweit bei Neuschnee alleine am Gipfel keine Chancen hätten. Es scheint aber eine ganze Menge Leute auf den 16. als Gipfeltag fixiert zu sein, auch wir machen uns also zum hoffentlich letzten Mal auf den Weg zum Nordsattel. Obwohl es allgemein kaum windig ist, weht unten im Gletscherbecken eine ordentliche Brise von der Seite. Wiederum fünf Stunden für die Strecke.

Dienstag, 14. Mai 2002

Ruhetag in Lager 1 (Nordsattel)

Morgens erwartet uns bedeckter Himmel mit ein paar Sonnenstrahlen, viele umliegende Berge sind in Wolken. Mingma definiert das als Schlechtwetter, er kümmert sich um den Aufbau von Lager 3, aber wir sollen den Aufstieg nach Lager 2 auf morgen verschieben. Viele Bergsteiger gehen allerdings los, da es nicht sehr windig ist. Es düfte keine sonderlich große Freude sein, in den Schneeschauern aufzusteigen, die im Lauf des Tages immer wieder einfallen. Von daher bereuen wir unser Zögern nicht; die andere Frage wird natürlich sein, ob uns der Tag Herumsitzen auf dieser Höhe konditionell eher genutzt oder geschadet hat. Die klassischen Höhenprobleme (Kopfweh etc.) haben wir hier zumindest schon länger nicht mehr.

Mittwoch, 15. Mai 2002

Nordsattel - Lager 2

Auf dem Schneegrat zu Lager 2
Auf dem Schneegrat zu Lager 2

Lager 2 (7700 m)
Lager 2 (7700 m)

Heute ist es wieder schön. Wenn doch das Aufstehen nicht immer so kompliziert wäre. Die ersten zwei Stunden nach Sonnenaufgang trieft überall der Raureif von den Zeltwänden, und das Zeug ist immer so kalt und nass.

Der Tag beginnt windstill, und erstaunlicherweise bleibt er es auch den ganzen Grat bis Lager 2 hoch. Das bedeutet, dass spätestens am Vormittag dort eine mörderische Hitze herrscht. Mit unserer persönlichen Ausrüstung müssen wir bis ins "richtige" Lager 2 auf 7700 m, wo Mingma uns in einem abschüssigen Felshang (aber auf einem sehr guten Platz) das Zelt aufgestellt hat. Acht Stunden dauert die Tortur. Vom unteren zum oberen Lager 2 ist ein richtig ausgetretener Weg vorhanden, aber auf 7600 m ist eben alles ganz schön mühsam.

Außer für Japaner übrigens. Die gehen ab 7000 m mit Sauerstoff. Da dann ja jeder Teilnehmer eine Sauerstoffflasche tragen muss, läuft für jeden ein persönlicher Sherpa mit dem persönlichen Gepäck hinterher. Man muss halt nur genügend Geld haben und genügend dekadent sein.

Ein unerwartetes Geschenk erwartet mich in Lager 2: Von einem Sherpa bekommen wir ein Päckchen Frischkäse. Das hatte ich schon im Basislager vermisst, hier oben auf 7700 m hätte ich am wenigsten damit gerechnet.

Donnerstag, 16. Mai 2002

Lager 2 - Lager 3

Oberhalb von Lager 2
Oberhalb von Lager 2

Ausblick von ca. 7900 m aus
Ausblick von ca. 7900 m aus

Nach schlecht durchschlafener Nacht machen wir uns ziemlich schwer bepackt auf den Weg nach Lager 3. Schon nach hundert Metern ist klar, dass wir so zu langsam sind. Daher tauschen wir auf 7800 m einige Sachen mit Mingma, der unter anderem die Sauerstoffflaschen hochbringt. Ab dort gehen wir mit künstlichem Sauerstoff, was aber sehr gewöhnungsbedürftig ist (die Brille beschlägt ständig), aber zumindest mir eine spürbare Leistungsverbesserung bringt (bei 1 Liter/min). Claudia überzeugt es weniger, und sie lässt die Maske wieder weg.

Der Weg nach Lager 3 ist sehr lang und eintönig. Man gewinnt auf dieser Höhe nur äußerst langsam an Höhe, jeder einzelne Meter ist ein erneuter Sieg. Unsere sieben Stunden von Lager 2 nach Lager 3 dürften gar nicht so ungewöhnlich sein.

Lager 3 liegt in einem abschüssigen, teils schneebedeckten Fels-/Schuttbecken auf 8200 m. Direkt darüber steilt sich die Flanke etwas auf und führt zum Nordgrat.

Nachdem unser Zelt gut aufgestellt ist und wir fleißig kochen, verabschiedet sich Mingma nach unten. Erstens wäre in dem kleinen Zelt kein Platz für drei Leute, zweitens möchte er nicht ohne Sauerstoff hier oben übernachten. Uns bleiben bis zum nächtlichen Aufbruch noch einige Stunden, in denen wir zu schlafen versuchen. Es ist ganz erstaunlich, wie friedlich einen schon eine geringe Dosis "russische Luft" schlafen lässt.

Freitag, 17. Mai 2002

Gipfeltag

Ein Uhr chinesischer Zeit, der Wecker holt uns aus unseren Träumen. Fürs Kochen von Heisswasser für unterwegs, ein bisschen was essen und schließlich das Anlegen der Ausrüstung brauchen wir insgesamt zwei Stunden. In dem engen Zelt ist vieles etwas mühsam, und draußen ist es kalt (wenn auch nur -19°). Das Wetter könnte perfekter nicht sein, nur der Wind ist (natürlich) störend.

Um drei Uhr gehen wir los, im Rucksack haben wir etwas zu trinken, ein paar Müsliriegel und jeder zwei Sauerstoffflaschen (eine kleine und eine große). Da die Route fast durchgängig mit Fixseilen versehen ist, kann man ihr auch im Dunkeln recht gut folgen, soweit das die dumme Sauerstoffmaske erlaubt. Zuerst geht es auf einer Art Weg aufsteigend nach rechts die Flanke zum Grat hoch; das Gelände ist bis auf ein paar Schritte völlig unschwierig. Kurz vor sechs sind wir am Grat, wo man endlich ein wenig Aussicht in die Umgebung erahnen kann. Leicht geht es weiter auf dem Grat oder etwas rechts davon, bis dann eine Querung in die Hänge rechts des Grates zum Fuß des First Step führt, den wir bei Sonnenaufgang erreichen. Der First Step verlangt etwas Kletterei an groben Blöcken, was auf der Höhe natürlich recht anstrengend ist. Danach quert die Route durch ziemlich steiles Felsgelände, wo die Fixseile wirklich eine gute Idee sind. Unter uns bricht die riesige Nordwestwand 2500 m tief zum Rongbuk-Gletscher ab. Kurz kommen wir an den Grat zurück, wo hinter einem eigenartig pilzförmigen kleinen Felsen (dem "Mushroom Rock") eine kleine, windstille Schneemulde zur Pause einlädt. Hier wechseln wir die Sauerstoffflaschen, denn nach den sechs Stunden ist die erste Flasche fast verbraucht.

Gipfelgrat bei 8500 m, zwischen First und Second Step
Gipfelgrat bei 8500 m, zwischen First und Second Step

Noch eine Viertelstunde Querung durch die Nordwestwand, und der Second Step ist erreicht. Wie auch am First Step, gibt es hier einen kleinen Stau; dieser hier kostet an die zehn Minuten. Den unteren Teil des Step hätten wir uns einfacher vorgestellt; die groben Blöcke sind größer als sie von weitem ausgesehen hatten, auf einen IIIer muss man sich gefasst machen. Die Leiter selbst wackelt zwar bei jedem Schritt seitwärts hin und her, wirklich interessant ist aber erst der Ausstieg in eine fast trittlose Querung, aus der man sich mit Hilfe einer kleinen Handschlaufe aus Fixseil auf die Terrasse oberhalb hieven kann. Das Ganze macht mir kräftemäßig unheimliche Mühe, und ich brauche eine Ewigkeit, mich danach keuchenderweise zu erholen. Claudia findet des Rätsels Lösung: Ich hatte nach dem Flaschenwechsel meinen Sauerstoff nicht aufgedreht, der Regler stand auf 0.5 Liter/min. Für normales Gehen wären 2 Liter, für die Kletterei eher 4 Liter angesagt gewesen. So bin ich also den Second Step praktisch ohne künstlichen Sauerstoff geklettert.

Mit den 2 Litern geht es wieder deutlich besser voran. Oberhalb des Step läuft man wieder am Grat, und hier hat sich im Geröll tatsächlich ein deutlicher Weg gebildet. Erstaunlich, wie wenig Leute es braucht, um einen Weg auszutreten. Nun sind wir auch endgültig in der Sonne; im Schatten war es ziemlich kalt (-25°C). Der Third Step ist ein gute zehn Meter hoher Aufschwung aus schneebedeckten Felsen, deutlich leichter als die anderen beiden Steps (I-II). Nun stehen wir vor der dreieckigen Gipfelflanke aus Schnee. Claudia ist etwas schneller und verschwindet schon bald rechts hinter der Kante. Jetzt kann es doch eigentlich nicht mehr weit sein.

Aber rechts hinter der Kante verbirgt sich eine waagerechte Querung. Aus dem Schnee geht es auf schuttbedeckte Bänder aus Kalkstein, völlig schneefrei. Sieht aus wie "zuhause" in den Alpen, ich fühle mich an die Sulzfluh erinnert. Aber hier, auf 8800 Metern, ist es der Wind, der den Schnee wegnimmt, und keine wärmende Sonne.

Kurzes Zickzack durch die Bänder, ein Stück weiter oben kommt wieder Schnee. Nach ein paar Kuppen ist endlich der Gipfel zu sehen, wo Claudia und einige andere stehen. Zwanzig Minuten für zwanzig Höhenmeter, und auch ich stehe auf dem kleinen, zwanzig Meter langen Gratrücken. Auf der anderen Seite führt eine sanfte Flanke zum Südostgrat hinunter.

Es ist zehn vor zwei, es ist kalt, aber kaum windig. Und es ist immer noch schönstes Wetter. 8850 Meter - alle Berge der Welt liegen uns zu Füßen. Der Lhotse wirkt von hier so unscheinbar, dass wir ihn fast übersehen hätten. Einige markante Berge wie Makalu, Kangchenjunga und Cho Oyu erkennen wir leicht, das Meer von kleineren Gipfeln ist dagegen unüberschaubar. Fünf, sechs Leute sind auf dem Gipfel; insgesamt sind heute etwa zwanzig Bergsteiger auf der Nordroute unterwegs. Von Süden sehen wir niemanden kommen.

Hartmut und Claudia auf dem Gipfel
Hartmut und Claudia auf dem Gipfel

Der Südwestgrat mit dem recht unscheinbaren Lhotse
Der Südwestgrat mit dem recht unscheinbaren Lhotse

Um halb drei machen wir uns auf den Rückweg. Am oberen Teil des Second Step gibt es ein frei hängendes Fixseil, das zum Abseilen vorgesehen ist; weiter unten hängt ein ziemliches Sammelsurium, und man weiß von oben natürlich nicht, welches Seil bis unten reicht. Da sich die Seile weiter unten mehrfach überkreuzen, schlägt Claudia zuerst noch einen Purzelbaum beim Abseilen, bevor sie merkt, dass sie vom einem aufs andere Seil umsteigen muss. Der First Step macht dagegen keine Probleme.

In der Flanke, die hinunter zum Lager führt, ist Claudia deutlich schneller als ich; sie geht daher schon vor, um im Lager 3 für Wasser zu sorgen. Ich werde im Lauf der Zeit immer langsamer und spüre eine starke Erschöpfung. Kurz vorm Lager nimmt mir ein Sherpa den Rucksack ab, so geht es erst mal etwas leichter. Allerdings nur kurze Zeit; bald komme ich nur noch schrittweise voran. Als die Sonne immer tiefer steht, kann ich plötzlich immer schlechter sehen: Während des Tages hatte ich meistens am Rand der Sonnenbrille vorbeigeschaut, weil die Brille durch die Sauerstoffmaske beschlagen war. Jetzt kommt die Rechnung dafür, eine leichte Schneeblindheit. Ich sehe alles wie durch einen weißen Schleier und kann die Fußstapfen im Schnee nicht mehr erkennen. Anstatt mich Schritt für Schritt langsam herunterzuarbeiten, wie es sinnvoller gewesen wäre, hoffe ich auf fremde Hilfe und warte dort, wo ich bin. Es dauert jedoch gut eine Stunde, bis ein Sherpa hochkommt, um mich ins Lager zu führen. Um 23 Uhr bin ich im Zelt.

[Teil 5] [Teil 6: Der lange Weg nach unten] [Teil 7]

Samstag, 18. Mai 2002

Lager 3 - oberes Lager 2

Meine Erschöpfung hat sich über Nacht nicht gebessert. Da ich gerade mal meine Sauerstoffflasche tragen kann, packt Claudia alles Wichtige (beide Schlafsäcke, Isomatten usw.) in ihren Rucksack. Das Wetter ist ziemlich bewölkt. Nach 1 1/2 Stunden haben wir die kleine Querung auf 8090 m erreicht, wo wir George treffen. Er möchte mich mit Hilfe eines Sherpas weiter nach unten bringen; es dauert allerdings eine Stunde, bis Ang Mingma10 auftaucht. So schnell ich kann (und das ist leider nur sehr langsam) arbeite ich mich auf George gestützt und von Ang Mingma geleitet nach unten. Der Wind nimmt erst langsam, dann beunruhigend schnell zu. Als wir um halb vier endlich das obere Lager 2 erreichen, ist er zum Orkan geworden. Claudia sieht das Zelt unserer Holländer noch kurz, beim nächsten Blick ist es weg - mit aller Ausrüstung, die drin liegt (u.a. Wilcos Spezial-Gleitschirm, mit dem er vom Gipfel fliegen wollte). Das Deutsch-Schweizer Zelt wird gerade von den Mexikanern besetzt, wodurch sie es vermutlich vor dem Davonfliegen retten. Wir werfen uns in ein Zelt daneben und George sich in ein Nachbarzelt.

Unser Sherpa Mingma kommt gegen sechs Uhr vom ABC aus aufgestiegen. Eigentlich hatten wir gedacht, er würde in Lager 2 oder wenigstens Lager 1 bleiben; so kommt er erst am Abend, um uns zu unterstützen. Das tut er dann allerdings sehr gut - die ganze stürmische Nacht schmilzt er Schnee und kocht Getränke für uns und George.



10 nicht zu verwechseln mit unserem Mingma; Ang Mingma ist der Sherpa der beiden Italiener.

Sonntag, 19. Mai 2002

oberes Lager 2 - Nordsattel - ABC

Das Wetter ist wieder sonnig, der Sturm hat aber nur etwas nachgelassen. Trotzdem müssen wir weiter runter, denn auf 7800 m kann man nicht tagelang ausharren. Mit Hilfe von Mingma geht es langsam runter durchs Lager 2; der Schneehang unterhalb ist etwas leichter zu gehen als das ungleichmäßige Felsgeröll, er kostet uns "nur" zwei Stunden.

Nach kurzer Pause werde ich von mehreren Sherpas, die von George per Funk auf den Nordsattel gerufen worden waren, die Fixseile hinunter geleitet. Ab der Ebene stützen mich abwechselnd zwei von ihnen; so kommen wir leidlich gut voran. Maila kommt uns bis hier mit einer großen Thermoskanne heißem Tee entgegen. Um halb acht, neun Stunden nach dem Aufbruch im oberen Lager 2, sind wir im ABC. Hier werden meine Erfrierungen an Händen, Füßen und Nase durch Jorge, der Arzt ist, begutachtet und provisorisch versorgt.

Montag, 20. Mai 2002

Ruhetag im ABC

Das Wetter ist gut, aber sehr windig. Für uns ist heute Ruhetag, wir versuchen, möglichst viel zu essen und zu trinken, um wieder zu Kräften zu kommen. Wie sich später zeigt, hat das zumindest für mich nicht funktioniert - ich wäre besser gleich weiter abgestiegen, denn in der großen Höhe von 6400 m konnte ich mich überhaupt nicht regenerieren. Zur Erschöpfung und den Erfrierungen an meinen Füßen gesellen sich nun noch Husten und Durchfall dazu.

Dienstag, 21. Mai 2002

Ruhetag im ABC

Nochmals ein Ruhetag im ABC; die Reste unserer Vorräte dienen als Grundlage für eine kleine Fressorgie für alle noch Anwesenden.

Mittwoch, 22. Mai 2002

ABC - Junction Changtse

Nachdem ich (aufgrund der Höhe und vor allem des Durchfalls) eher noch schwächer geworden bin als dass ich mich erholt hätte, steigen wir in Richtung Basislager ab. Koch Gokul hilft uns gegen Bezahlung beim Tragen, weil ich immer noch kein Gepäck nehmen kann. Enttäuschenderweise kommen wir in 4 1/2 Stunden nur bis zur Gletscherabzweigung am Changtse (P.6088), eine Strecke, die man sonst in 1 1/2 bis 2 Stunden zurücklegt. Der kräftige Wind und die Toilettenstopps machen es heute allerdings auch nicht allzu einfach.

Mingma ist heute nochmal nach Lager 1 und 2 aufgestiegen, um Zelte und Ausrüstung von dort zu holen. Durch den Sturm dort oben war es nicht möglich, Lager 3 zu erreichen.

Donnerstag, 23. Mai 2002

Junction Changtse - Zwischenlager - Basislager

Die Nacht war nicht sehr angenehm, ich hatte fast die ganze Zeit mit meinem Husten zu tun - trotz des großen Felsblocks, den Claudia als Erhöhung unter mein Kopfkissen gepackt hat. Kurz nachdem wir unseren Zeltplatz verlassen, treffen wir den ersten Tibeter, der uns die Last der zwei Rucksäcke bereitwillig abnimmt. Ein Stückchen weiter unten wartet eine ganze Gruppe, die von Maila im Basislager hochgeschickt worden war. Sie stützen mich abwechselnd, und so kommen wir bis ins Basislager. Das dauert zwar 8 1/2 Stunden, aber nun ist es endlich geschafft. "Zurück in der Zivilisation" kann man es zwar noch nicht nennen, aber mit entsprechend Glück kommt man hier wenigstens per Fahrzeug weg.

Freitag, 24. Mai 2002

Ruhetag im Basislager

Ruhe- und Aufräumtag. Das Zelt aus Lager 2 stellt sich als so kaputt heraus, dass sich ein Mitnehmen nach Deutschland (mit dem Aufwand, wieder Luftfracht zurückschicken zu müssen) nicht mehr lohnt. Das Zelt von Lager 3 ist ja sowieso obengeblieben, weil es Mingma nicht gelungen ist, im Sturm soweit hochzukommen. Der Boden vom Zelt aus Lager 2 ist völlig kaputt, und unser Materialzelt aus dem ABC fällt schon bei Berührung fast auseinander (das war allerdings auch schon recht alt). In Lager 3 sind außerdem die Eispickel, die Steigklemmen, Stirnlampen, die Thermosflasche und eine Menge anderer Ausrüstung geblieben.

Der Tibeter, der gestern unser Gepäck getragen hatte, hatte keine Genehmigung: Das kostet 30 Dollar Strafe beim Verbindungsoffizier. Ansonsten bezahlen wir heute die Träger und Helfer.

Samstag, 25. Mai 2002

Ruhetag im Basislager

Immer noch kein Auto. Vom Verbindungsoffizier gibt es nur Ausreden wie die, dass er keine Telefonverbindung nach Nyalam habe und daher keine Jeeps herbeordern könne. Bestenfalls hieße das, dass das Basislager von der TMA schlecht organisiert ist. Vermutlich aber ließe sich für entsprechend Geld recht schnell ein Auto auftreiben. Da die Jeeps für die Rückfahrt ja schon bezahlt sind, ist das natürlich nicht einzusehen.

[Teil 6] [Teil 7: Zurück nach Kathmandu]

Sonntag, 26. Mai 2002

Basislager - Tingri - Nyalam - Zhangmu - Kathmandu

Heute gibt es plötzlich die Jeeps. Bei mittelmäßigem Wetter verlassen wir das Basislager. Nach drei Stunden auf etwas, was man mit gewisser Fantasie als Feldweg bezeichnen könnte, sind wir in Tingri, und um halb fünf - nach achteinhalb Stunden - in Zhangmu. Die Sherpas bleiben hier und warten aufs Gepäck, wir überqueren gleich noch die Grenze. Das kostet übrigens noch mal 50 US$ pro Person "Visa-Umschreibungsgebühr", weil unser Gruppenvisum in Einzelvisa umgewandelt werden muss. Sagt der Verbindungsoffizier und steckt das Geld ein. Bei anderen, erfahren wir später, hat das nur 25 $ gekostet, sogar ohne das Gruppenvisum bei sich zu haben.

Das nepalische Visum ist dagegen ganz offiziell teurer als das erste. Es ist eine sehr eigenwillige Regelung, dass das zweite Visum, das man innerhalb eines halben Jahres beantragt, um 20 $ teurer ist als das erste. Der nepalische Staat scheint damit sagen zu wollen, dass er seine Gäste nicht gerne so oft wiedersieht.

Mit einem Bus sind wir abends um acht (nepalischer Zeit, also 22:15 chinesischer Zeit) in Kathmandu.

Montag, 27. Mai 2002 - Mittwoch, 29. Mai 2002

Kathmandu

Zuallererst kaufen wir ein Paar Sandalen, für die meine erfrorenen Zehen sehr dankbar sind. Die Trekkingschuhe sind zu eng und werden verschenkt. Daneben erholen wir uns, essen endlich wieder ordentlich und bemühen uns, unseren Rückflug auf den baldmöglichsten Termin vorzuverlegen.

Donnerstag, 30. Mai 2002 / Freitag, 31. Mai 2002

Kathmandu - Abu Dhabi - Bahrain - Frankfurt

Abends gegen sieben fliegen wir von Kathmandu aus nach Abu Dhabi. Dort findet wieder das uns schon bekannte Chaos statt: Bordkarten für die nächste Etappe am Schalter holen, auf den nächsten Flug warten. Der verspätet sich wirklich kräftig: Zuerst wird auf fehlende Passagiere gewartet, dann muss jeder sein Gepäck nochmal identifizieren - wohlgemerkt, nachdem Gepäck und Passagiere schon im Flugzeug waren. Mit zweieinhalb Stunden Verspätung sind wir in Bahrain, vierzig Flugminuten von Abu Dhabi. Das meiste von dieser Verspätung holt der Flug nach Frankfurt tatsächlich noch auf, wir sind dort nur eine halbe Stunde verpätet. Das Flugzeug war allerdings auch sehr voll und dadurch der Flug ziemlich unbequem, besonders wenn man Erfrierungen an den Füßen hat und sie eigentlich gerne hochlegen würde.

Samstag, 01. Juni 2002

Friedrichshafen

Für meine Erfrierungen, besonders die an den Füßen, verschreibt man mir eine Infusionstherapie mit Heparin und Prostavasin. Die nächsten zwei Wochen verbringe ich im Krankenhaus Friedrichshafen.

Anhang

Zu den Schwierigkeiten, die sich im Abstieg ergeben haben

Meine gesundheitlichen Schwierigkeiten beim Abstieg hatten praktisch denselben Verlauf wie beim Cho Oyu 1999. Folglich war es auch damals primär starke Erschöpfung. Offensichtlich bin ich in beiden Fällen zwar gut auf den Gipfel gekommen, hatte aber nicht genügend Leistungsreserven für den Rückweg. Beunruhigend dabei ist, dass ich mich in beiden Fällen beim Aufstieg durchaus nicht schlechter gefühlt habe als bei anderen Gelegenheiten. Nichts hat darauf hingedeutet, dass sich die Situation so zuspitzen würde. Offensichtlich bekommen mir Achttausender also nicht besonders. Aber es gibt genügend andere Berge, noch ein Achttausender muss also nicht sein.

Dank

Viele Leute haben mir beim Abstieg und in ABC und Basislager wertvolle Hilfe geleistet, für die ich außerordentlich dankbar bin:

Zu der Beschreibung des Abstiegs von Lager 3, die auf Everestnews.com erschienen ist, möchten wir auf einer separaten Seite (auf Englisch) kommentieren.

Mount Everest (Chomolungma) - praktische Informationen

Auf dieser Seite möchten wir einige praktische Hinweise geben, wie wir unsere Expedition organisiert haben, und einige vielleicht interessante Details angeben, die für eine "Nachahmung" wissenswert sein könnten.

Inhalt

Wie wir die Expedition organisiert haben

Unser Plan war es, als Zweierteam möglichst günstig an den Mount Everest zu kommen. Die feste nepalische Permit-Gebühr von US$ 10000 pro Person für die Südseite lässt uns - da wir weder Millionäre sind noch die Unternehmung von irgendwelchen Sponsoren bezahlt bekommen - als einzige Möglichkeit die tibetische Seite.

Die meisten Gruppen, die den Mount Everest von Tibet aus angehen, lassen die Reise von einer Agentur in Kathmandu organisieren. Die Organisation umfasst das Permit und Visum für Tibet, den Transport von Kathmandu ins Basislager, die Verpflegung unterwegs, eine Küche mit Koch und Küchenjunge im Basislager und/oder im ABC und den Transport der Ausrüstung ins ABC per Yak. Über dieses "Basispaket" hinaus kann man die Dienste eines oder mehrerer Sherpas in Anspruch nehmen, als Hochträger und ggf. auch als Begleiter auf der Gipfeletappe, und Sauerstoffausrüstungen dazukaufen.

Wenn man selbst keine Gruppe zusammenbekommt, kann man z.B. bei Asian Trekking einen Platz in der sogenannten "internationalen Expedition" buchen. Das beinhaltet dieselben Leistungen, aber die Gruppe wird aus Einzelnen oder Zweiergrüppchen zusammengewürfelt, für die jeweils eine eigene Küche und ein eigenes Permit zu teuer käme. Inwieweit die anderen Veranstalter wie Thamserku Entsprechendes anbieten, sollte man erfragen und Preise und Leistungen vergleichen. Da bei dieser "internationalen Expedition" jedes Untergrüppchen am Berg unabängig agiert und eine eigene Expedition ist, gibt es keinen Expeditionsleiter, um organisatorische Schwierigkeiten für alle zu klären. Man muss sich also bei Problemen entsprechend untereinander einigen.

Unser "Paket" bestand aus dem erwähnten "Grundpaket" mit einer Gesamtdauer von 72 Tagen ab und bis Kathmandu, und dazu einem Sherpa als Hochträger sowie zwei Sauerstoffausrüstungen. Die Zelte im Basislager und ABC stellte Asian Trekking; alles jenseits des ABC war unsere Sache.

Wir haben die drei Hochlagerzelte, einiges an Ersatzausrüstung sowie Hochlagerverpflegung von Deutschland aus per Luftfracht nach Kathmandu geschickt, denn mit den 20 kg Fluggepäck kann man natürlich keine Everest-Expedition ausrüsten. Manche Dinge hätten wir auch in Kathmandu kaufen können, aber um die Fracht wären wir schon der Zelte wegen nicht herumgekommen.

Das Essen im Basislager bzw. ABC war im allgemeinen ausreichend. Je nachdem, welcher Koch am Werke war, war es gut oder auch nur erträglich. Auf jeden Fall hatten wir selbst noch genügend zusätzliches Essen dabei, das man an den langweiligen Tagen zwischen den Mahlzeiten naschen konnte.

Was man in Kathmandu kaufen kann

Einiges von dem, was wir per Luftfracht geschickt hatten, kann man zu praktisch gleichem Preis in Kathmandu kaufen:

Was wir in Kathmandu nicht gesehen haben:

Gaskartuschen (Schraubkartuschen mit Butan/Propan-Gemisch) kann man bei der Agentur kaufen (5-6 US$ pro Stück) oder auch in einem der vielen Läden bekommen. Dort aber darauf achten, dass die Kartuschen wirklich voll sind (Gewicht überprüfen). An Ausrüstung kann man in Thamel so gut wie alles nachkaufen, auch hochwertige Teile.

Wichtige Dinge für den Berg

Wer an den Mount Everest geht, sollte schon ein paar Expeditionen hinter sich haben und daher wissen, was man so braucht, wenn man ein paar Wochen mehr oder weniger auf sich selbst gestellt ist.

Wir hatten jeder zwei Schlafsäcke dabei - einer fürs ABC, und einer für die Hochlager. So muss man nicht ständig den Schlafsack die 600 m zu Lager 1 hochschleppen, und diese Strecke legt man mehrmals zurück. Tatsächlich wäre es aber besser gewesen, wir hätten einen dritten Schlafsack gehabt, den wir unten im Basislager gelassen hätten.

Für die Verständigung untereinander und mit unserem Sherpa hatten wir kleine PMR 446-Funkgeräte dabei. Für die Distanzen zwischen ABC und den Lagern 1 und 2 war die Reichweite genügend, aber wir waren natürlich mit den anderen Gruppen inkompatibel. Die PMR-Geräte sind aber deutlich leichter und günstiger als "richtige" Funkgeräte. Zwischen ABC und Basislager kann man auch mit den "richtigen" Geräten keine Verbindung bekommen, es ist zu weit und zu viel Berg im Weg. Von Lager 3 kann man übrigens nicht nach unten funken, weil das Lager in einer Mulde liegt und keine Sichtverbindung zu den anderen Lagern hat.

Die Mitnahme von Satellitentelefonen kostet immer noch eine astronomische Gebühr seitens der Chinesen. Manch einer hatte ein Iridium-Handy dabei, und möglicherweise hat es auch der eine oder andere beim Verbindungsoffizier angemeldet.

Das Wetter

Im Winter ist es im Himalaya zu kalt, im Sommer (Juni-September) bringt der Monsun Schlechtwetter und viele Niederschläge. Daher gibt es zwei Zeiten, die fürs Bergsteigen im Himalaya günstig sind - im Frühjahr oder Herbst. Dabei bietet die Vormunsun-Zeit verschiedene Vorteile: Die Temperaturen sind allgemein höher als im Herbst, und die Tage werden während des Aufenthalts länger und nicht kürzer. Tendenziell gibt es im Vormonsun auch weniger Schnee, weil die Winter eher trocken sind. Im Herbst muss man eventuell noch mit tiefem Schnee, der in der Monsunzeit gefallen ist, rechnen.

Das "normale" Wetter hat einen ausgeprägten Tagesgang: Morgens ist es oft wolkenlos, aber im Lauf des Nachmittags bilden sich immer Quellwolken, aus denen es gegen Abend auch schneien kann. Die Temperaturen im ABC liegen bei -5°C Tageshöchsttemperatur im April, bis gegen 0°C im Mai. Nachts wird es dort typisch -10° bis -18° kalt. Weiter oben wird es etwas kälter, aber wir hatten insgesamt nie unter -25° (gegen Sonnenaufgang auf der Gipfeletappe).

Ein sehr lästiger Faktor ist der fast ständig wehende Wind, der besonders am Basislager (und im ganzen Rongbuk-Tal) und im ABC weht. Es ist so gut wie niemals windstill. Die Gegend jenseits des Nordsattels ist sehr stark dem Wind ausgesetzt, der meist von Westen kommt. Der Gipfelbereich wird im April sogar noch von den Jetstream-Winden der oberen Atmosphäre berührt (bis 300 km/h); im Mai verlagern sich diese Stürme in größere Höhe, und am Gipfel kann es ganz erträglich werden. Auch im Mai gibt es aber immer wieder Stürme, die den freistehenden Bereich oberhalb 7000 m mit voller Wucht treffen.

Die Rolle des Sauerstoffs

Es ist bewiesen, dass der Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff bestiegen werden kann. Weshalb hängen also über 90% der Bergsteiger an der Flasche?

Nur an einigen Tagen im Jahr sind die Winde schwach genug, dass man überhaupt den Gipfel erreichen kann, ohne davongeweht zu werden. Auch an diesen "ruhigen" Tagen gibt es oft Windgeschwindigkeiten bis 60 km/h. Bei Temperaturen zwischen -20° und -30°C ist das Erfrierungsrisiko dabei erheblich. Zusätzlicher Sauerstoff erhöht die Sauerstoffsättigung im Blut und vermindert dadurch die Gefahr von Erfrierungen an Händen und Füßen.

Ein zweites Argument ist die Sauerstoffversorgung des Gehirns. Unterversorgung an Sauerstoff führt zu Fehleinschätzungen, Denkfehlern und technischen Fehlern, die Unfälle und Abstürze zur Folge haben können.

Wie gesagt, es ist bewiesen, dass man ohne Zusatzsauerstoff den Gipfel erreichen kann und gesund wieder zurückkommen kann. Sieht man sich aber die Unfallzahlen an, insbesondere derer, die ohne zusätzlichen Sauerstoff den Gipfel erreichten und auf dem Rückweg verunglückten, dann gibt das wirklich schwer zu denken.

Wir wollten uns die Option auf zusätzlichen Sauerstoff offenhalten und in Lager 3 je nach Situation entscheiden, wer mit und wer ohne Flaschen geht. Daher ließen wir eine 3l-Flasche nach Lager 2 und vier 4l-Flaschen und zwei 3l-Flaschen nach Lager 3 bringen. Unsere Taktik: Die Flasche in Lager 2 bleibt als Notreserve; zwei der 4l-Flaschen in Lager 3 benutzen wir zum Schlafen vor dem Gipfelsturm, und jeder hat dann zwei Flaschen (eine 3l, eine 4l) auf dem Weg zum Gipfel. Das ergibt ein Rucksackgewicht von schätzungsweise 10 kg. Beim Wechseln der Flaschen am Mushroom Rock laden wir die fast leere erste Flasche dort ab und nehmen sie auf dem Rückweg dann wieder mit.

Technisches zu den Sauerstoffflaschen und -masken

Die Flaschen des russischen Systems (von Poisk, hat sich am Everest praktisch vollständig durchgesetzt) gibt es in zwei Größen, 3 oder 4 Liter. Typischerweise ist der Sauerstoff unter einem Druck von 250 bar abgefüllt. Übliche Raten für den ausströmenden Sauerstoff sind 0.5 Liter/min (etwa das Minimum), 1 l/min (zum Schlafen), 2 l/min (zum Gehen), 4 l/min (zum Klettern, wenn es anstrengend ist, z.B. 2nd Step). Per Faustformel kann man sich ausrechnen, dass die 3-Liter-Flasche bei 250 bar also 750 Liter Sauerstoff enthält, das bei 2 l/min für 375 Minuten, also 6 1/4 Stunden, reicht. Da der Umgebungsdruck niedriger ist, stimmt das nicht völlig, aber es gibt eine ganz gute Abschätzung. Wir brauchen also sicher 2 Flaschen und nehmen daher jeder eine 3- und eine 4-Liter-Flasche mit. Würden wir (wie auch schon in der Literatur gesehen) durchgehend mit 4 l/min gehen, bräuchten wir mindestens drei Flaschen; das könnten wir selber aber nicht mehr tragen. Ohne dass jeder einen persönlichen Gipfel-Sherpa hätte, ist also 2 l/min sowieso das Maximum.

Die Sauerstoffmaske ist das eigentliche Problem beim Gehen mit zusätzlichem Sauerstoff. Man würde denken, dass in den mittlerweile 80 Jahren seit den ersten Everest-Expeditionen eine Optimierung stattgefunden hätte und heutige Geräte in Gewicht und Handhabung keine Wünsche offenließen. Das ist aber mitnichten der Fall. Die Maske sitzt schlecht, lässt sich mit den Riemen schlecht anpassen, blockiert die Sicht nach unten (auf die eigenen Füße, das ist sehr unpraktisch) und läßt die Brille beschlagen (und in der Folge vereisen). Da Letzteres jedem Brillenträger passiert, ist es erstaunlich, dass es hier keine bessere Lösung gibt. Nicht-Brillenträger können sich mit einer Skibrille statt der Sonnenbrille behelfen, das funktioniert besser. Da man in der trockenen Höhenluft die Brille nicht durch Kontaktlinsen ersetzen kann, bleibt das Problem für Brillenträger aber ungelöst.

Gilt eine Besteigung mit Sauerstoff überhaupt?

Im Gegensatz zu primär wettbewerbsorientierten Sportarten wie Laufen, Gehen oder auch Sportklettern gibt es für das Bergsteigen keine festgelegten Regeln. Wie sollten solche Regeln während mehrerer Tage dauernder Anstiege im nahezu unzugänglichen Gelände auch überprüft werden? Daher gilt erst mal jede Besteigung, völlig egal wie und mit welchen Hilfsmitteln sie durchgeführt wurde. Es muss nur klar und wahrheitsgetreu gesagt werden, unter welchen Umständen das Ziel erreicht wurde. Was dann gut oder verwerflich ist, darüber können die Moralisten dann streiten.

Wir sind ab 8200 m bzw. 7800 m mit Sauerstoff gegangen, und unser Sherpa hat die Zelte, Kocher und Sauerstoffflaschen in die Hochlager gebracht. Unsere persönliche Ausrüstung und Verpflegung haben wir selbst hochgetragen, und auf den Gipfel sind wir zu zweit gegangen. In diesem Sinne haben wir also den Kompromiss gesucht und haben den Berg in der "traditionellen" Expeditionstaktik gemacht, ohne auf Eigeninitiative bei Organisation und Besteigung zu verzichten.

Unbestreitbar ist die Leistung derjenigen, die diesen Aufstieg ohne zusätzlichen Sauerstoff machen, größer. Respekt vor denjenigen, die dazu noch alles, was sie brauchen, selbst hochtragen.

Die Rolle der Sherpas

Kurze Anmerkung zur Begriffsdefinition: Der Begriff Sherpa bezeichnet den Volksstamm, der hauptsächlich im Khumbu-Gebiet, d.h. in Nepal südlich des Mount Everest, zuhause ist. Diese Menschen sind vor einigen hundert Jahren aus Tibet eingewandert und haben die Hochlagen der Region, meist über 4000 m, besiedelt. Die Sherpas verfügen über eine ausgezeichnete (genetisch bedingte) Fähigkeit zur Höhenanpassung. Daher werden sie bei Expeditionen häufig als Hochträger eingesetzt.

Die meisten Sherpas, die bei Expeditionen mitarbeiten, haben eine derart gnadenlos bessere Kondition als die ausländischen Kunden, dass es für uns schon fast peinlich ist. Obwohl sie anscheinend keinerlei Fitnesstraining betreiben, sind sie in Höhen um 6000-7000 m mit doppelter Last immer noch doppelt so schnell wie die meisten Bergsteiger (egal ob Europäer, Amerikaner, Japaner, Koreaner etc.). Dabei sind die allermeisten Sherpas immer sehr freundlich und hilfsbereit. Ein Sherpa würde niemals einen Wunsch seines Arbeitgebers verweigern.

Bei der Planung einer Expedition gibt es aufgrund dieser physischen Überlegenheit der Sherpas zwei wichtige Aspekte:

Transport-Arbeit und Unterstützung der Bergsteiger:

Alles auf der Welt ist käuflich, und so gibt es alle möglichen Varianten, auf den Mount Everest zu steigen. Alleine, im Team, ohne Sherpas, oder mit beliebig vielen Helfern. Wir, als Zweierteam, haben uns dafür entschieden, einen Sherpa hauptsächlich für den Lastentransport in die Hochlager anzustellen. Seine Aufgabe war es, die Zelte an die Plätze der Lager 1, 2 und 3 zu bringen, dort aufzustellen und die Kocher, Gaskartuschen und Sauerstoffflaschen in die Hochlager zu transportieren. Manche Expeditionen hatten mehr Geld und weniger Eigeninitiative, sie haben entsprechend mehr Sherpas beschäftigt, sich auch das persönliche Gepäck hochtragen lassen.

Da wir nur für zwei Personen Sauerstoffausrüstungen hatten, ging unser Sherpa nicht über Lager 3 hinaus. Wer sich das leisten möchte, kann aber auch mit Sherpa-Begleitung zum Gipfel gehen. Der Sherpa ist dabei in vernünftigen Fällen ein zusätzlicher Sicherheitsfaktor; in anderen Fällen ist er der Dumme, der dem Kunden die gerade nicht benötigten Sauerstoffflaschen hochtragen darf. Neben unserer Variante haben wir alles mögliche gesehen: Bergsteiger, die schon ab 7000 m mit Sauerstoff gegangen sind und deren persönlicher Sherpa dann die Ausrüstung getragen hat, weil der Bergsteiger mit der Sauerstoffflasche schon genug zu tragen hatte; Bergsteiger, die sich vom persönlichen Sherpa den Gipfel hoch schieben ließen, weil sie kaum mehr gehen konnten.

Rettung:

Die Anwesenheit von Sherpas hoch oben am Berg ist im Notfall absolut entscheidend. Bestenfalls Sherpas können im Notfall auf die Schnelle zu Lager 3 oder weiter aufsteigen, um einem in Not geratenen Bergsteiger zu helfen. Selbstverständlich bemühen sich die Sherpas, in jedem Notfall zu helfen. Dass für diese oft mühsame Arbeit eine ordentliche Vergütung erfolgen sollte, versteht sich von selbst. Ich persönlich habe vermutlich mein Leben dieser Hilfe zu verdanken.

Fazit

Manche Expeditionen haben den Berg ohne Unterstützung durch Sherpas angegangen. Einige aus Prinzip, andere aus finanziellen Erwägungen. Viele haben ihre Entscheidung im Lauf der Wochen geändert. Es mag ehrenhaft sein, wirklich alles selbst hochgetragen zu haben - die Erfolgsaussichten sind aber deutlich schlechter. Wer plant, künstlichen Sauerstoff zu verwenden, sollte sich den Sherpa ganz sicher leisten, außer er will sich mit dem Transport der schweren Flaschen schon frühzeitig aus dem Rennen schießen.

Kosten der Unternehmung

Die Kosten sind an sich kein Geheimnis, sie waren auch für jeden gleich, der einzeln oder zu zweit bei Asian Trekking gebucht hat. Wenn man sich als größere Gruppe eine Expedition mit eigener Küche organisieren lässt, sind die Preise leicht unterschiedlich. Im Folgenden sind die Kosten für unsere Zwei-Personen-Expedition aufgeführt, angegeben sind die Gesamtkosten:

EUR 1610Flug
US$ 12780(EUR 15020)Asian Trekking Pauschalpreis, $ 6390 pro Person für Permit, Anreise, Basislager, ABC
(Hotel in Kathmandu, Transport bis und von Basislager, Verpflegung auf der Fahrt und in Basislager und ABC)
US$ 3200(EUR 3760)Sherpa (über Asian Trekking, das beinhaltet auch sein Permit und Essen im BC/ABC)
US$ 800(EUR 940)2 Sauerstoffmasken und Regler
US$ 1230(EUR 1445)3 Sauerstoffflaschen à 3 Liter zum Preis von $ 410
US$ 1760(EUR 2070)4 Sauerstoffflaschen à 4 Liter zum Preis von $ 440
US$ 250(EUR 290)Abwicklung Luftfracht in Kathmandu (Asian Trekking)
US$ 90(EUR 110)Permit für die Benutzung von 3 Funkgeräten
US$ 90(EUR 110)Hochlagernahrung für Sherpa
EUR 240Luftfracht von Deutschland nach Kathmandu (Zelte, Hochlagernahrung etc.)
Summe:EUR 25595
pro Person:ca. EUR 13000

(US$-Kurs zum Zeitpunkt der Expedition: 1 EUR=$ 0.851. Das war der ungünstigste Kurs, den es je gegeben hat - aber wir konnten es uns leider nicht aussuchen)

Dazu kommen Trinkgelder, unerwartete Ausgaben für Yaks (die uns Asian Trekking aber zurückerstattet hat) und die eine oder andere "Gebühr" für chinesische Verbindungsoffiziere und andere "nette" Leute. Außerdem bekommt der Sherpa einen Bonus für jeden Lastentransport; das sind

Das ergab bei uns eine Summe von $675.


Valid HTML 4.0! Diese Seite entspricht dem HTML 4.0 Standard. Aktualisiert am 25. September 2002 durch Hartmut Bielefeldt